Prinz Ludwig

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war ein Vater, der hatte zwölf Söhne. Der Jüngste hiess Ludwig. In jenem Land stand ein Schloss, und dort wohnte eine alte Frau, die konnte auf alle Arten zaubern. Sie hatte viele schöne Burschen verzaubert. Der junge Prinz wollte alle erlösen, die die Alte verzaubert hatte. Er ritt mit seinem Pferd zum Schloss hinauf und stellte es in den Stall. Dort hörte er es rufen: «Prinz Ludwig.» Er schaute um sich und sah niemanden. Und es rief noch einmal. Der Prinz wandte sich zu einem Schimmel, der dort in jenem Stall war, und fragte: «Sprichst du mit mir?» Der Schimmel bejahte und sagte, er solle tun, was er ihm auftrage. Ludwig versprach das. Der Schimmel fuhr weiter: «Zuerst sollst du dein Pferd füttern, dann sollst du hinauf zum Abendessen gehen. Dann kannst du ins Bett gehen, aber während der Nacht kommen zwölf Schlangen, sechs von der einen und sechs von der andern Seite. Die werden dir nichts tun, nur eine unerhörte Kälte ausströmen.»

Als er zu Abend gegessen hatte, legte er sich schlafen. Es ging nicht lang, und die zwölf Schlangen erschienen. Sechs krochen auf die eine Seite, sechs auf die andere. Allmählich bekam unser Prinz Ludwig kalt und zitterte wie Espenlaub. Irgendwie ging die Nacht vorüber. Er hatte die Kälte aushalten können. Am Morgen ging er nüchtern zu den Pferden hinunter. Der Schimmel sagte, er solle essen gehen, dann wollten sie spazieren reiten. Als der Prinz vom Morgenessen zurückkehrte, hiess ihn der Schimmel, er solle sich auf ihn setzen, und sie ritten plaudernd aus. «Wenn du es drei Nächte aushalten kannst, sind wir gerettet», sagte der Schimmel, «und jeden Morgen kommst du nüchtern zu mir herunter.» Plaudernd kamen sie zu einer Wirtschaft, wo ein schönes Mädchen war. Ludwig ging zu ihr hinein. Darauf nahm er seinen Schimmel und ritt nach Hause, ass zu Abend und ging ins Bett. Wieder erschienen die zwölf Schlangen und legten sich, auf jeder Seite sechs, neben ihn. In jener Nacht musste er eine noch grössere Kälte aushalten als in der ersten.

Am Morgen ging er nüchtern in den Stall hinunter danach ass er, weckte das Pferd, und sie ritten wieder spazieren. Sie kamen wieder zu jener Wirtschaft, und er ging wieder zu jenem Mädchen. Langsam ritt er dann nach Hause, ass zu Abend und ging ins Bett. Der Schimmel sagte, es würden diese Nacht vierundzwanzig Schlangen kommen, und wenn es möglich sei, solle er es aushalten. Unser Prinz Ludwig hatte mehr als genug von der letzten Nacht, aber er hielt es aus. Am Morgen ass er, bevor er in den Stall hinunterging. Als er den Saal betrat, war für vierundzwanzig Prinzessinnen aufgetischt. Als er gegessen hatte, ging er hinunter und knöpfte sich die alte Zauberin vor, und die musste alle Pferde erlösen, die im Stall standen. Als der Schimmel erlöst war, war es ein schöner Jüngling, und er sagte zu Ludwig, unter jenen vierundzwanzig Prinzessinnen könne er jene auswählen, die ihm am besten gefalle, aber er machte sich nicht viel daraus. Nun denn, er ging dann zu dem Mädchen in der Wirtschaft, und die gab ihm ein schönes Tischtuch und sagte, wenn er dieses ausbreite, könne er sich wünschen, was er wolle. Alles werde darauf erscheinen. Jenes Mädchen gebar dann einen Knaben. Er ging nach Hause und bekam Streit mit seinen Brüdern. Die packten ihn und warfen ihn in eine Grube, wo zwölf Löwen drin waren. Aber er breitete jenes Tischtuch aus und wünschte zwölf Schinken für die Löwen, und die taten ihm überhaupt nichts. Jene junge Frau liess ihm oft ausrichten, er solle jetzt kommen und sie heiraten. Jedes Mal ging einer der Brüder hin. Und sie fragte jedesmal ihren Sohn, ob das der Vater sei, aber der wollte von denen nichts wissen. Am Ende wurde sie wütend und sagte, wenn sie nur die Knochen von ihm bringen würden, wäre sie zufrieden, sonst liesse sie alles in Feuer und Flammen aufgehen. Die Brüder sagten zueinander: «Ah, da ist nichts zu machen, gegen die kommen wir nicht auf.» Sie gingen dann in den Wald, schauten in die Grube und riefen, er solle jetzt kommen, sonst kämen sie alle ums Leben. Es wäre ihm gleich, wenn sie ums Leben kämen, doch wegen der Frau wolle er kommen. Zuerst liess er die Löwen hinaufziehen. Die liefen ihm nach wie Hunde. Als er zu dem Knaben kam, sagte dieser, ja, das sei der Vater. Sie hielten Hochzeit, und er war seiner Frau ein guter Mann, und der Knabe spielte mit den Löwen.

(Schams)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.  

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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