Die dumme Grethe

Land: Schweiz
Kategorie: Schwank

Die dumme Grethe hat mit ihrem Mann in einem einsamen Häuschen vor dem Dorf gewohnt und ist wenig unter die Leute gekommen. Eines Tages kam ein hungriger Kerl zu ihr, als eben ihr Mann auf dem Felde war, und bat sie, ihm etwas an die Gabel zu geben, dieweil er den ganzen Tag nüchtern gelaufen sei; wenn's nur ein Stück Fleisch wär, sagte er, oder ein halbes. Da ihr Mann eben gestern ein Schwein geschlachtet hatte, ging sie in die Kammer und holte das halbe Schwein heraus. Ja, damit woll' er heut alleweil haushalten, sagte der Hungrige, lud die Last auf die Schulter und gieng davon. Als der Grethe ihr Mann heimkam und vernahm, was seine Frau getan hatte, raufte er sich die Haare und sagte: „Grethe, meine Grethe, wann wirst du gescheid ! Warum hast du dem Kerl nicht eine Schwarte abgehauen?"

„Ach lieber Mann," sagte die Grethe, „Du weisst ja, ich kann kein Blut vergiessen, wie hätt' ich dem armen Menschen eine Schwarte abhauen können?"

Sagte der Mann: „Grethe, meine Grethe, jetzt wirst du nimmer gescheid! Jetzt geh ich in die Stadt, und wenn ich dort eine finde, die noch dümmer ist als du, dann ist dir dein Leben geschenkt, sonst geht's dir an den Hals."

Er ging also in die Stadt, und da war eben der Markt angegangen, und als er zu einer Eierfrau kam, stolperte er in Gedanken über ihren Korb hinein, dass die Eier vor Schrecken platzten und der Boden alsobald aussah, wie wenn er mit lauter ungeschmalzten Pfannkuchen gepflastert wäre.

„Hui," sprang die Eierfrau auf, „was ist das ein Lümmel!"

„Oho," rief der Mann, „spuck aus und sprich anders ! Wer kann so eine armselige Eierkrabbe sehn, wenn er grad herab vom Himmel fällt?"

„Ja du mein lieber Gott, vom Himmel kommt Ihr?" rief die Frau, „wie hätt' ich das denken können! Sagt, habt Ihr meinen seligen Mann, den Christen, nicht gesehn? Er muss nun, wenn's Gotts Will ist, zu Ostern schon ein Jahr dort sein."

„Das will ich meinen, hab ich ihn gesehn," antwortete der Mann; „noch gestern Abend sind wir beisammen gesessen. Er ist der beste Kumpan, den ich im ganzen Himmel hab, und wenn ich hinauf komme, so such ich ihn zuerst wie der auf. Nur ein bischen schmal hat er's bei dem Sternenputzen; jeden geschlagenen Abend die Sterne abrussen und nur einen Kittel auf dem Leib haben Sonntag und Werktag, ist kein Spass."

„Ja du mein lieber Gott," rief die Frau, „so schmal hat er's, mein armer Christian? Da könntet Ihr Euch doch einen rechten Gotteslohn verdienen, wenn Ihr ihm das Stück Tuch bringen wolltet, das ich grad noch für ihn gekauft hab, eh er mir zu Tod gestorben ist; es ist so gut wie neu."

„Wenn's nicht zu schwer ist, so will ich's probieren," sagte der Mann und ging mit der Frau in ihr Haus, und da gab sie ihm das Tuch und liess nicht nach, bis sie ihm noch dazu einen Korb voll Eier für ihren Christian aufgeschwatzt hatte. Damit machte er sich auf den Heimweg. Als er nach Haus kam, erschrak die Grethe, denn sie meinte nicht anders, als dass jetzt ihr letztes Stündlein geschlagen habe. Doch der Mann hatte ihr schon von weitem gewinkt und rief: „Grethe, meine Grethe; die dümmste bist du doch nicht!" Erzählte ihr dann den Handel mit der Eierfrau und hatte seine helle Freude an dem neuen Tuch und den geschenkten Eiern, und der Grethe war auch ein Stein ab dem Herzen, dass es ihr diesmal doch nicht an den Hals gegangen war.

 

Quelle: Sutermeister, Otto: Kinder- und Hausmärchen aus der Schweiz, Aargau. (Mündliche Ueberlieferung.)

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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