Der Dumme hat Glück

Land: Schweiz
Kategorie: Schwank

 

Es war einmal ein dummer Bursche. Der war arm und hatte weder Vater noch Mutter mehr. Aus Mitleid nahm ihn ein Onkel auf in sein Haus und schickte ihn auf die Weide, die Ziegen zu hüten. Weil der Onkel selber aber schon alt war und den Dummkopf nicht gern allein auf der Welt zurücklassen wollte, dachte er, ihm eine Frau zu geben. Also sagte er eines Tages zu ihm: «Wenn du schöne Mädchen siehst, so wirf ein Auge auf sie.» Am folgenden Tag ging der Einfältige wieder auf die Berge, um seine Ziegen zu hüten. Da sah er ein bildschönes Mädchen. Schnell riss er grausamer Weise einer

Ziege ein Auge aus und warf es dem Mädchen zu. Als sein Onkel am Abend sah, dass eine Ziege nur noch ein Auge hatte, fragte er ihn: «Aber was hast du mir da angestellt, mein Neffe!» — «Ei, ich habe das Auge einem bildschönen Mädchen angeworfen, wie ihr mir befohlen habt.»

«O du abscheulicher Kerl!» versetzte sein Onkel. «Auf der Stelle gehst du mir aus meinem Haus!» Der Bursche hielt es für besser, sich schleunigst aus dem Staub zu machen, sonst hätte ihn sein Onkel in der Wut noch totgeprügelt. Er nahm das Fell eines Ziegenbocks mitsamt den Hörnern auf seine Schultern und lief davon, ohne nur die Haustür zu schliessen. «So zieh doch auch die Haustür hinter dir!», schrie ihm der Onkel nach. Der Dummkopf verstand das wiederum wörtlich, lud wahrhaftig die Haustür auf seinen Rücken und lief davon. So wanderte er vorwärts über Berge und Täler, und schliesslich geriet er weit von den Dörfern weg in grosse Wälder und wusste nicht, wo er am Abend seine müden Glieder zum Schlafen hinlegen sollte.

Da fiel ihm ein, er könnte zur Sicherheit auf einem Baum oben übernachten. Er kletterte also durch die Äste empor und zog seine Habseligkeiten samt dem Ziegenfell und der Haustür auf den Baum hinauf. Als er sich\'s endlich bequem gemacht hatte, sah er, wie drei Männer durch den Wald kamen und sich gerade unten am Stamm seines Baumes lagerten. Sie hatten eine Kiste bei sich und eine Pfanne, suchten Äste und Reisig zusammen und zündeten miteinander ein Feuer an. Dann hingen sie die Pfanne über dem Feuer auf und taten Reis1 hinein. Aber es fehlte ihnen an Wasser oder Fleisch-brühe, um Brühe herzustellen. Vor grosser Angst konnte sich- der Dummkopf jetzt nicht mehr halten und Hess gerade in diesem Augenblick seine Kürbisflasche, darin er das Trinkwasser aufbewahrte, fallen. «Ei, seht doch, wie der Himmel für uns gesorgt hat!», sprachen unten die Männer, die niemand anders als drei Räuber waren. Sie mischten also ihren Reis und freuten sich schon aufs Essen.

Eine Weile später konnte der Dummkopf auch die grosse Haustür nicht mehr halten. Sie entschlüpfte seinen Händen und fiel mit grossem Krach und Gepolter durch die Baum äste auf den Boden hinunter. «O schaut, da kommt ja auch noch ein Tisch herunter! Jetzt kann es uns an nichts mehr fehlen.» Nicht lange darnach entfiel dem Dummkopf auch das Fell des Ziegenbockes mit den Hörnern daran. Diesmal gerieten die Männer in Entsetzen und schrien: «Der Teufel ist da, fort, fort, der Teufel kommt!» Sie Hessen die Kiste samt der Reispfanne im Stich und flohen wie der Wind so schnell von dannen. Da stieg der Dummkopf vom Baum herunter und wollte die Kiste auf die Schulter laden. Aber er konnte sie nicht heben. Gleich schaute er nach, was darin sei und fand sie voller Geld.

Sobald die Nacht vorüber war und der Tag graute, machte er sich auf den Weg zu seinem Onkel zurück. An der Landstrasse traf er einen Wegmacher an und sprach zu ihm: «Nehmt euren Schubkarren und führt mich samt dieser Kiste nach Hause, so will ich euch einen Silbertaler geben.» — «Oho», erwiderte der Wegmacher, «wo willst du nur einen Silbertaler hernehmen, du Windbeutel, der du ein noch viel ärmerer Teufel bist als ich?» Aber der Dumme legte ihm augenblicklich einen prächtigen Silbertaler hin, worauf der Wegmacher ihn samt der Kiste auf den Karren lud und heimbrachte. Als er dort anlangte, nahm ihn sein Onkel aus Mitleid wieder auf. «Was schleppst du mir da mit nach Hause?» fragte der Onkel, als er die Truhe sah. Und der Neffe erwiderte: «Ach, Onkel, schimpf mich nicht wieder, schau einmal, was da drin ist.» Begierig öffnete der alte Mann die Kiste und war ganz sprachlos und wie versteinert, als er das viele Geld sah. Er verschaffte seinem Neffen eine brave Frau, dann hielten sie zusammen ein köstliches Mahl und waren froh und glücklich.

 

Am Kaminfeuer der Tessiner                                   

Walter Keller                                                         

Hans Feuz Verlag Bern

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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