Martin Grass von Closters

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im Veltlin hielt sich vor nicht vielen Jahren ein Tyroler auf, der vor Keinem sich fürchtete, und für den Stärksten in der ganzen Christenheit sich ausgab. Nun waren in Closters einige Weinhändler, die alle Jahre zu Zeiten nach dem Veltlin reisten, und Diese erzählten, daheim (in Closters) sei, unter Andern, auch ein Mann, der, wie sie meinten, den Tyroler »überhöhen« (bemeistern dürfte).

Die Veltliner, begierig, den starken Closterser kennen zu lernen, gingen mit den Clostersern eine bedeutende Wette ein, welcher der Stärkere sein möge, der Tyroler oder ihr Landsmann.

Die Closterser, die Nationalität ehrend und wahrend, beschlossen, nächstes Mal ihren Mann mitzunehmen. Mit List wussten sie den Marty Grass (so hiess ihr Mann) dahin zu brin­gen, dass er mit ins Veltlin kam. Er trank nämlich gerne ein Glas ächten Veltliner, war übrigens die harmloseste Seele weit und breit, und, obwohl seiner Stärke bewusst, nicht im Geringsten händelsüchtig. Der freute sich nun aber, einmal ohne »Spesen« (Kosten) zu einem guten »Roten« zu kommen, und ging deshalb gerne mit, wusste aber nicht, warum er eigent­lich mitgenommen wurde.

Im Veltlin angelangt, kehrten die Closterser in dem gleichen Wirtshause ein, wo der Tyroler seine »stete Losung« (Nachtquartier) und Wiederkehr hatte. Mit Vorwissen des Wirtes legten die Closterser ihren Hans Grass in das Bette des Tyrolers; immer noch wusste Grass nichts von dem Vorhaben seiner Landsleute mit ihm. Wie gewohnt, kam auch der Tyroler, laut polternd, die Treppe herauf, in das Schlafzimmer, und wollte zur Ruhe sich begeben, fand aber gleich, dass in seinem Neste schon ein Vogel hocke, nahm, ohne lange zu fragen, diesen Vogel bei den Federn, und zog ihn auf den Boden heraus. Marty Grass aber (denn das war der Herausgezogene) nahm diesmal die Sache nicht so leicht, sondern fasste den Tyroler so an, dass er Demselben fürs Erste, zum Willkomm, die Finger zerbrach; dann packte er ihn bei den Hosen, hob ihn in die Höhe, und schmetterte ihn mit Gewalt auf den Fussboden, dass die Wände zitterten. Grass schimpfte nun gewaltig, dass man nicht einmal ruhig schlafen könne im Welschlande. Der Tyroler hatte vier Rippen »caput« (gebrochen), und wusste nun, dass er nicht mehr der Stärkste sei, in der ganzen Christenheit.

Begreiflich waren die versteckt gewesenen Zeugen im Urteile einig; aber die Closterser, obgleich sie den Handel gewonnen, hatten grosse Mühe, die in ihrer Partie für den Tyroler gekränkten Veltliner zu besänftigen, wie auch den Marty Grass in Sicherheit zu bringen; - in einem leeren Weinfasse verborgen, wussten sie ihn mit List über die Grenze zu retten.

Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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