Der Totentanz

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Eine Stunde über dem schönen Kirchdorf Unterbäch liegt ein klei­ner, aus schwarzen Hütten bestehender Weiler, Im Holz genannt, der nur einige Monate im Sommer bewohnt wird.

Im nahen, tief verschneiten Walde neben dem Weiler war ein junger Bursche aus dem Kirchdorf mit Holzhacken beschäftigt. Er hing traurigen Gedanken nach, denn vor einem Monat erst war ihm seine Geliebte, mit der er so manchen schönen Abend durchgetanzt hatte, an einer tückischen Krankheit gestorben. Als die Nacht herein­brach, schichtete er das gefällte Holz auf, schlug die Axt in einen Fichtenstamm und machte sich langsam auf den Heimweg. Die ganze Woche schon hatte er in seiner Hütte hier oben genächtigt und jeden Abend eine warme Suppe gekocht, um sich den langen Abstieg zu dem Dorfe Unterbäch zu ersparen. Er zündete wie immer das Talglicht an und rührte über dem Feuer seine Suppe. Dann stieg er in den Keller hinunter, um Käse und Brot zu holen. Als er wieder hinaufkam, sah er das gegenüberliegende Haus hell erleuchtet. Dunkle Gestalten flogen an den Fenstern vorüber, und er hörte eine seltsame Musik. «Was ist denn das», sagte er halblaut. «Hier oben wohnt ja niemand, da haben sicher die von Unterbäch und Eischol im Ver­borgenen sich zu einem Tanze zusammengefunden. Mir werden sie nichts gesagt haben, weil ich um meine Kathrine traure, auch bin ich die ganze Woche nicht ins Dorf hinuntergestiegen!»

Er trat wieder ins Haus, da ihn fror, ass die Suppe, legte den Zinnteller und den Holzlöffel beiseite, knüpfte den Rock fest zu und schlich sich zu dem Nachbarhaus hinüber, um ein wenig durchs Fenster zu gucken. Aber es war eine bitterkalte Nacht, und die Fen­ster waren von einer grauen Eisschicht verhüllt, so dass er nichts unterscheiden konnte. Doch die Haustür war offen, und so trat er ganz leise ein, um nicht gehört zu werden, und ging bis an die Stubentür, die auch nicht verschlossen war. Durch die schmale Spalte bemerkte er Lichter auf dem Tisch und in einer Ecke den Geiger, der einen wilden Tanz aufspielte, zu dem die Paare sich drehten und herumwirbelten, fest ineinander verschlungen, aber so­wohl der Geiger als die Tänzer und Tänzerinnen waren ihm un­bekannt. Das waren nicht die Unterbächer und nicht die von Ei­schol, das waren fremde Gesichter, die er noch nie gesehen hatte, und nun fiel ihm auch auf, dass die meisten altväterisch gekleidet waren, Halbschuhe trugen und Kniehosen und Schwalbenschwänze, die um die Hüften flogen. Auch hörte er kein Getrampel auf den Brettern des Fussbodens. Die Kleider der Mariner und Frauen waren mit Rauhreif bedeckt; an den Hosen und Röcken, an den Kragen und Haarspitzen hingen kleine Eiskerzen, und auch die Hände sa­hen aus, als ob die Finger lauter Eiszapfen wären. Jetzt hefteten sich seine Blicke auf eine Frau, die ihm bekannt erschien. Beinahe hätte er einen Schrei ausgestossen. «Was ist das für eine sonderbare Gesellschaft - und die da mit den langen, schwarzen Haaren und den grossen Augen, das ist - das ist meine Kathri, meine Geliebte, die unlängst gestorben und auf dem Kirchhof unten begraben ist!»

Eiskalt fuhr es ihm über den Rücken, als ob er unter dem Glet­scher stände und das kalte Wasser über ihn flösse; er wandte sich ab und eilte, so schnell ihn die zitternden Beine trugen, nach seiner Hütte, schloss die Haus- und die Stubentür gut zu und legte sich flugs ins Bett. Er zog die Decke bis über den Kopf hinauf und konnte noch lange nicht warm werden. Ein starker Fieberfrost schüttelte ihn, und immer musste er an den Totentanz denken und an seine Geliebte.

Da knarrte der Riegel, und leise klopfte es an die Stubentür. Er hielt den Atem an und horchte. Jetzt klopfte es stärker. Er hatte nicht den Mut, «herein» zu rufen und kroch noch tiefer unter die Decke. Nach einer Weile streckte er den Kopf hervor, um Atem zu schöpfen und nach der Tür zu sehen, die er gut verschlossen hatte. Sieh, da ging sie auf, und herein trat seine tote Geliebte, die Kathri. Die Eiskerzen an ihrem Kleide klirrten leise wie feine Glöcklein. Dem Burschen wurde entsetzlich elend zu Mute, und in der Verzweiflung rief er aus: «Jesus und Maria, wer bist du?» Da beugte sich ein eiskalter Schatten über ihn und berührte seine Lippen. Der Geist war angesprochen und hatte das Recht, von seinem Atem zu schöpfen und mit ihm zu sprechen. Da schwand seine Furcht plötz­lich, und der Bursche führte mit der Geliebten ein langes Gespräch. Zuerst fragte sie ihn: «Kennst du mich?» «Ja, du bist es, mein Herz­gespiel, meine Kathri», antwortete er. «Ja, ich bin deine ehemalige Geliebte», gab sie zur Antwort, «ich komme aus dem Aletschgletscher und muss mit andern an den Qua­tembern hier tanzen und die verbotenen Tänze abbüssen, die ich mit dir gehalten. Aber du hast mich jetzt angeredet, und ich erhoffe baldige Erlösung. - Geh morgen ins Dorf hinunter und verrichte gute Werke für meine Seele, dann wirst du meine Erlösung be­schleunigen!»

Noch vieles sprach sie mit ihm, denn sie blieb in der Stube, bis die Morgenglocke vom Dorf herauf ertönte, aber der Bursche hat geschwiegen und zu keinem Menschen von dem, was er gehört und gesehen, ein Wort gesprochen. Er hat die guten Werke verrichtet, ist immer ledig geblieben, hat nie mit den Mädchen gescherzt und soll noch in späten Jahren auf dem Totenbette von seiner armen Kathri erzählt haben, die er nun in der Seligkeit wiederzusehen hoffe.

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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