Die Pest im Fischenthal

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die Pest im Fischenthal

ln der Gemeinde Fischenthal liegt in einem sonnigen Seitentälchen ein Weiler, genannt „s Peste“. Eines Morgens begab es sich daselbst, dass ein Vögelein vor den Fenstern traurig und immer trauriger pfiff: Pest! Pest! Pest! Dies verstanden die Leute drinnen deutlich. Und siehe, nach einer Stunde hatten sie schon eine Leiche im Haus, schwarz und plötzlich in Verwesung übergehend. Es war die erste schwarze Leiche der Gemeinde. Doch bald wütete die furchtbare, geheimnisvolle Todesmacht auch in weiten Kreisen. Denn als man die Leiche aus „s Peste“ am folgenden Tag durchs Tal nach dem Kirchhofe trug, eröffnete sie bereits den schauerlichen Zug von mehr als 20 schwarzen Leichen.

Wo sie an einem Hause vorbeikamen fragten die Fuhrleute an, ob etwa ein paar Leichen zum Aufladen bereitlägen, und fast allerorten erfolgte ein schluchzendes, wimmerndes Ja. Vor einem Hause nahe bei der Kirche fragten sie zum Fenster hinein. Es war eine Mutter drinnen, welche ihrem Kinde zöpfelte. Die Mutter antwortete: „Nein, gottlob, hier ist noch alles gesund und wohlauf!“ Im Heimfahren vom Kirchhof schauten sie abermals durch das Fenster und sahen Mutter und Kind liegen als schwarze Leichen.

Der Anfall der Krankheit erfolgte durch ein Niesen, und kaum konnte man sagen: Helf dir Gott! so lag der Betreffende schon leblos da. Seither ist der Ausdruck gegen das Niesen gebräuchlich. Bald waren ganze Familien unter dem Boden. Hie und da stand ein Haus öde da und etwa eine vergessene Leiche erfüllte dasselbe mit Grabesluft. Ein solches Haus wurde nie mehr bewohnt. Noch heute kennt man manche Stellen auf Wiesen wie Holzungen, wo damals ein Haus gestanden, dessen Bewohner „im schwarzen Tod“ ausstarben.

Mittlerweile war in s Bettisten keine Lücke mehr entstanden, doch mussten sie natürlich immer befürchten, des schwarzen Todes eigen zu werden. Wie gross war aber das frohe Erstaunen der guten Leute, als sie eines Morgens das nämliche Vögelein, welches „Pest“ pfiff, heiter und fröhlich singen hörten: „Binz und Benz und Baldrioo, henksch’s an Hals, so chunscht devoo!“ Das Vöglein sang gewiss vom rechten Mittel, das wussten sie nun.

Ohne im geringsten an der heilsamen Wirkung des Rezeptes zu zweifeln, suchten sie die dreierlei Kräuter zusammen und taten damit nach des Vögleins Verordnung. Eine unbeschreibliche, unerklärliche Leichtigkeit, ein neuer, frischer Lebenshauch durchwehte sie. Eilig machten sie das Wunder im Tal vorn bekannt, nahmen grosse Säcke voll solcher Kräuter mit sich, auf dass nicht viele in Verlegenheit kämen, darnach suchen zu müssen, ohne welche zu finden‚ denn kaum wuchsen sie so in Menge wie in s Bettisten. Fernhin wurden die Kräuter verliefert, und wer sie einmal am Hals trug war dem schwarzen Tod entgangen.

Die Kräuterträger aus s Bettisten nannte man kurzweg „d’Pestlüt“, ihren Wohnort aber s Pesten, welcher nun so genannt wird bis auf den heutigen Tag.

Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Oberland
Ausser der Präambel wörtlich aus Stauber, S. 56; Senn, Bilder, 1850, S. 252; VB 27.10.1916; Lienert, S. 96; Senn „Chelläiänderschtückli“, lokalisiert die Sage genau: „Im Beicher hine.“
Binz und Benz sind Bibernell (Pimpinella) und Baldrian (Valeriana officinalis); sie gelten als schweisstreibend und wurden offenbar zu Pestzeiten mit Erfolg angewendet. Der Spruch heisst auch: „Bibernell und Baldrioo, wer drab trinkt, dä chunt devoo.“ Man tröstete die Niesenden auch mit: „Gsundheit!“
Anno 1629 starben im Fischenthal am schwarzen Tod 212 Personen, was ein Drittel der Bevölkerung ausmachte.
Der seltsame Vogel, der die Pest anzeigt, ist nicht nur im Fischenthal gehört und gesehen worden. Leider sind Beschreibungen des Vogels äusserst selten. „In Davos wird der Seidenschwanz Pestvogel genannt; wenn besonders viele davon in kalten Wintern aus dem Polargebiet kommen, habe man das als Pestzeichen genommen.“ (Mitteilung von R. Weiss.) — Es war vor Jahren in einem strengen Winter, da kamen Scharen fremder Vögel bis auf die Fenstersimse vor den Häusern eines Ortes im Haslital und taten sehr hungrig. Sie glichen keinem einheimischen Vogel, am ehesten noch den Buchfinken. Einer meinte, es seien Pestvögel (M. Sooder, Zelleni us em Haslital. Basel 1943, S. 216). Diese zwei Beispiele zur Verbreitung des Pestvogels. -— HwbdA. 6, 1498-1522, s. v. Pest (Sartori).

 

Lebenszeichen

Man erzählt auch, dass die Bewohner der Fischenthalerberge sich zu Pestzeiten jeweilen am Morgen mit dem Milchtrichter über die Täler hin angerufen hätten, um zu erfahren, ob auf der anderen Seite noch jemand am Leben sei.

Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Oberland
Senn, Bilder, 1850, S. 252.

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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