Vogel Strauss

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Von den Hunden mit Gebell und Freudensprüngen zur Eile getrieben, stieg der Jäger ins Gefälle hinauf, wo die Spürnasen eine Fährte aufnahmen und mit hängender Zunge davonhotzelten. Nach einer Weile rudelten sie zurück, kläfften und winselten und stöberten wieder davon, um nochmals umzukehren und das Manöver zu wiederholen. Das Benehmen der Meute war sonderbar. Schussbereit stapfte er der Meute nach, sah die Tiere närrisch um einen Baum schnuppern, und fand in Lumpen gewickelt ein Knäblein, das kläglich wimmerte. Hurtig schlüpfte er aus dem Rock, schlug ihn um das Würmchen und brachte es nach Hause.

In seiner Pflege knospete Meinrad zum strammen, rotwangigen Jüngling und Jägerburschen, und wenn er in geschmeidiger Kraft durch die Strassen der Stadt marschierte, so klirrten die Fensterriegel und guckten die Mädchen verstohlen ihm nach. Er aber hatte sich schon die niedliche Tochter des Büchsenschmiedes auserkoren und sich mit ihr verlobt, freilich gegen den Willen ihrer Eltern, die ihn ihrem Bürgerstolz von einem Prinzen träumten, der ihr alleiniges Kind in der Hofkutsche abholen und zum Altar führen werde.

Das Mädchen dachte vernünftiger als Vater und Mutter, liess sich während ihrer Abwesenheit mit Meinrad trauen und siedelte aus dem elterlichen Haus ins Geschäft, das er übernommen hatte. Gross war der Unwille des Büchsenschmiedes nach der Heimkehr, als seine Tochter im Ehehäubchen in die Schmiede trat. Nachdem der erste Zorn verraucht war, lieh er seiner Frau Gehör, liess sich überreden, den unliebsamen Schwiegersohn zum Vogel Strauss zu senden, von dem noch keiner zurückkehrte. Am hellen Tage legte er sich ins Bett, beschied den Tochtermann zu sich und sagte, er sei gefährlich krank, und nach der Ansicht der Ärzte könnten nur drei Federn aus dem Haupt des Vogel Strauss ihn gesund machen.

«Wenn die Federn dir helfen, so will ich den Gang von Herzen gern wagen», erwiderte Meinrad arglos, schnürte sein Bündel und zog davon.

Kaum war er fort, so sprang der Büchsenschmied auf die Füsse und lachte ins Fäustchen. «Ade, auf Nimmerwiedersehen, er rennt sich in den Tod!»

 

Gegen Abend erreichte Meinrad die erste Stadt. « Wohin des Weges?» rempelte der Bäcker ihn an, der blonde, duftende Semmeln zum Kühlen an die Luft stellte. «Ei was, zum Vogel Strauss, dem Räuberhauptmann? Das braucht Mut und Gottvertrauen!»

«Hab ich und weiss, was mir bevorsteht.»

«So leg auch grad ein Wort für mich ein! Meine Tochter, weiss Gott, die schönste Dirne in der Runde, ist plötzlich eine Kröte geworden. Frag doch den Vogel Strauss, warum er das getan hat, und was ich tun muss, sie wieder zu kriegen!»

«Das werde ich besorgen.» Die Taschen mit Semmeln gestopft, schritt er in dunkler Frühe weiter.

In der zweiten Stadt angekommen, legte er sich beim Vernachten zur Ruhe und bezahlte vor der Abreise die Rechnung. «Wie weit noch und wohin?» fragte der Wirt.

«Zum Vogel Strauss.»

«Was Teufels, zu dem gefürchteten Räuberhauptmann, oder habe ich mich verhört? Freiwillig in den Tod! Sein Wein ist Menschenblut, seine Speise Menschenfleisch.»

«Das ist Geschmackssache», versetzte Meinrad, den der hasenfüssige Wirt belustigte.

«Wenn du so kühn bist, so leg auch grad ein Wort für uns ein! Unter der Linde vor dem Tore sprudelte im Brunnen das süsseste Quellwasser. Auf einmal ist er versiegt, und niemand ausser Vogel Strauss kennt die Ursache.»

«Ich will hören, was er dazu sagt.» Er schnallte das Ränzel auf den Rücken und ging davon.

Im dritten Städtchen klopfte ihm der Weibel auf die Achsel: «Ei, froher Wandersmann, wie keck und unternehmungslustig, als ob du die Welt erobern möchtest!»

«Das überlasse ich den Haudegen und Abenteurern. Ich bin's zufrieden mit drei Federn aus dem Schopf des Vogel Strauss.»

«Was - Vogel Strauss, der allmächtige Räuber! Grundgütiger Himmel, du getraust dich in den Höllenrachen? So tu mir den Gefallen, und leg ein Wort für mich ein! Ein Birnbaum steht in meinem Garten, kahl und dürr, und sonst jeden Herbst gesegnet mit den herrlichsten Butterbirnen. Frag ihn, was da zu machen sei!»

 

Die Leute mieden die Gegend, in die der Weg mündete, und ohne eine Seele anzutreffen, gelangte er im Zunachten zu einer Brücke. Jenseits, halb versteckt in den Büschen, schimmerte der Giebel des allgewaltigen Missetäters.

Die Haare sträubten sich, als er an die Pforte klöpfelte, und regten sich halbwegs auch wieder Hoffnung und Zuversicht, als ihm eine Frau öffnete, die den jungen Gesellen mit einem Gemisch von Mitleid und Wohlgefallen musterte. «Weisst du nicht, dass hier der Vogel Strauss zu Hause ist? Wie kannst du nur so gott- und kopflos ins Unglück trappen?»

«Weil ich vom Haupt des grossen Mörders drei Federn haben muss, damit mein lieber Schwiegervater gesund werde, und drei gute Räte für Menschen, die ihrer bedürfen!» Er schilderte, was sich in den Städten zugetragen, und wie die Bürger ihn gebeten hätten, ihnen aus der Klemme zu helfen.

«Da du so jung und tapfer bist, werde ich dich vor der Gier meines Mannes schützen. Iss und trink, und bange nicht! Wenn er heimkehrt, so hört man sein Schnauben auf Meilen weit, und dann ist es Zeit, dich unter das Bett zu verkriechen und in den Hühnerflaum dich einzugraben. Bleibst du wach mit einem Ohr und aufmerksam, so wird sich alles zum Guten wenden. - Flink unter das Bett, es saust und braust im Wald, er naht wie ein Wirbelwind!»

 

Ein Rumpeln und Gekessel, Türenauf- und zuschmettem, und Vogel Strauss hagelte in die Stube, soff und schmatzte wie ein Tier, warf die Stiefel von sich, gurgelte wie ein Sodbrunnen und plumpste auf den Strohsack. Urplötzlich war es still.

Sachte riss die Frau ihm eine Feder aus dem Schopf und bog den Arm zur Bettlade hinab. Meinrad, der nicht schlief, nahm die Feder in Empfang.

«Weib, du hast mich gezupft!» rief der Mörder unwirsch und drehte sich auf die andere Seite.

«Mir träumte drum, die Bäckerstochter sei in eine Kröte verwandelt worden. Ich sah das Tier und ergriff es am Bein.»

«Die Alten sollen ihren Hochmut ablegen und die Krott einen Tag im Mist vergraben, so wird sie wieder Zopf und Rock!»

Nach einer Weile raufte sie ihm die zweite Feder und liess sie niederschweben.

«He, Alte, du störst meinen Schlaf!»

«Weil mir träumte, ich lösche am Stadtbrunnen den Durst. Als ich die Lippen an die Röhre hielt, floss kein Tropfen mehr.»

«Wie soll er fliessen, wenn der Obermufti mit unrecht Gut die Leitung verstopft hat?» Er gähnte laut, zog die Decke über die Ohren und schnarchte.

Gleich entriss sie ihm die dritte Feder. «Zum Teufel», brüllte er wie ein Stier, «fortwährend störst du meine Ruh'!»

«Ach Gott, verzeih, mich quälte schon wieder ein Traum! Du kennst den schönen Birnbaum des Stadtweibels. Just wollte ich eine Birne brechen, da war er kahl und leer.»

«Natürlich, hat doch die Tochter des Stadtweibels ein Kind geboren und unter dem Baum verscharrt. Wie soll er da treiben und fruchten? Galgenholz - Galgenholz! Jetzt lass mich schlafen, ich muss zeitig auf die Beine an mein Tagewerk!»

Kaum hatte er das Haus verlassen, rief sie Meinrad zu Tisch und zeigte ihm nachher den Weg, den er ohne Gefährde einschlagen durfte. «Und vergiss nicht, bei den Kapellen anzuhalten und ein Vaterunser für meine arme Seele zu beten!»

 

Meinrad steckte die Federn auf den Hut und folgte dem Pfad, der in die alte Strasse gabelte.

Beinah wäre ihm der Stadtweibel um den Hals gefallen, als er ihn gesund und wohlgemut daherziehen sah. «Bist du wirklich beim Vogel Strauss gewesen? Und lebt er noch? Und hast du mein gedacht?»

«Stadtfenster haben Ohren. Begleite mich ein Stück vors Tor hinaus, und ich will dir etwas erzählen, was dich nicht freuen wird.» Auf der Landstrasse vernahm der Weibel, seine Tochter habe unter dem Birnbaum ein Kind begraben, er werde wieder grünen und blühen, sowie das Kind in geweihter Erde bestattet sei.

Ebenso erstaunt als betroffen zog er den Beutel und leerte ihn in Meinrads Hand.

 

Im mittlern Flecken verbreitete sich die Kunde von seiner Rückkehr wie ein Lauffeuer. Die Handwerker feierten und stoffelten im Lendenschurz hemdsärmlig nach der Herberge, den Burschen zu sehen, der bei Vogel Strauss gewesen und heil davongekommen war. Der Wein strömte, und der Duft von saurem Braten und Rauchwürsten lockte nicht allein die Menschen aus ihren Behausungen und Winkelnestern, auch die Fliegen und Bremsen und stoberes Gesindel, das in der Ortschaft dem verbotenen Gewerbe oblag. Der Wirt strahlte, die Köchin schwitzte, Musikanten stimmten die Instrumente zum Tanz.

«Ihr lieben Mitbürger und Genossen», rief der Wirt, «hört, was unser Held für Kunde bringt vom grossen Mörder!» Ein drückendes Schweigen lastete, Meinrad erhob sich. «Ist euer Bürgermeister anwesend? - Nicht hier, gut! - Ein sauberer Patron! Zählt eure Stadtgelder nach und geht zum Brunnen und schaufelt die Erde bloss. Der Schatz, den ihr aufdeckt, ist just der Fehlbetrag der Stadtkasse, den er entwendete. Gebt diesem Ehrenmann den Schuh und ein Gratisnest im Gasthaus zum schwarzen Turm, und der Brunnen fliesst wie ehedem so klar und reich!»

Die Menge stob zum Loch hinaus, auf den Bürgermeister los die einen, zum Brunnen die andern, gruben und schaufelten und hoben das gestohlene Geld scheffelweise aus der Erde. Der Brunnen tröpfelte, rauschte und plätscherte zuletzt bachfrisch in die Schale.

 

Überreich belohnt, nahm Meinrad Abschied und fuhr im Landauer weiter, fütterte im Städtchen die Pferde und überbrachte dem Bäcker die Botschaft von Vogel Strauss. «Du und deine Frau haben grossen Hochmut mit der Tochter getrieben und seid dafür bestraft worden. Vergrabt die Kröte eine Nacht im Düngerhaufen, und wenn der Stadtwächter die Sonne begrüsst, tritt eure Tochter, zum Menschen gewandelt, ins Geschäft.»

 

Nochmals beschenkt, stieg er in die Kutsche, die Pferde knirschten ins Gebiss, und reich und prächtig hielt er wie ein Prinz vor seinem Hause. Die Bürger eilten herbei, fragten, was für ein Pascha ihrem Nest die Ehre erweise, und da stürzten Meinrad und seine Frau ans Fenster, grüssten und winkten und schwenkten die Tücher. Enttäuscht zerstreute sich die Menge; es war kein Pascha und kein Prinz, nur Meinrad war es, einer aus dem Städtchen, der ihren einer, und das ist nie Interessant.

 

Unterdessen war sein Schwiegervater wirklich erkrankt und im Fieberwahn zum Fenster hinausgesprungen. Meinrad legte die drei Federn auf den Sarg, und immer noch geht die Rede im Städtchen, wenn einer Unrecht begeht und sich das Leben nimmt: Er hat seinen besten Freund zum Vogel Strauss gesandt und dann selber ins Gras beissen müssen.

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)