Gotsponer

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auch wieder ein Geistlicher, der weitum Ruf und Ansehen genoss und in den Nöten des Alltags um Rat und Fingerzeig angegangen wurde!

In seinem Dorfe lebte eine gottesfürchtige Jungfer, die keine Messe fehlte und von gross und klein ihrer Frömmigkeit willen verehrt wurde. In jungen Jahren starb sie, umtrauert von der Gemeinde, die sie zur letzten Ruhestätte geleitete. Am Begräbnismahl hörte der Pfarrer, wie die Leute zueinander sagten, man habe heute die Frömmste der Frommen beerdigt. «Das ist ein grosser Irrtum», bestritt Gotsponer, «ihre Seele hat nicht aufwärts, sondern abwärts in den heissen Schlund der Hölle den Flug genommen.» Die Leute stiessen sich mit den Ellbogen und vermeinten, Hochwürden erlaube sich einen unangebrachten Scherz. «Durch das Höllentor ist sie eingegangen», rief er so laut, dass alle es hören konnten, «und büsst für ihre Sünden.» Nicht erbaut ob solcher Schmähung, murrte das Volk, und vom Groll überschattet, blickte man düster auf den frevlen Mund des Pfarrherrn. «Wenn ihr meinen Worten nicht glaubt», sagte er gelassen, «so folgt mir in den Garten hinaus, und ich werde euch den Beweis leisten.» Man lief vom Tisch ins Freie, und unter einem hundertjährigen Apfelbaum gebot der Pfarrer dem ersten besten: «Hebe den linken Fuss und guck mir über die rechte Achsel!» Der Mann tat nach Geheiss und sah die Verstorbene in der Pein der Verdammnis. Die andern wandten sich ins Haus und nahmen still und nachdenklich ihre Plätze wieder ein. Warum denn die fromme Seele zu ewiger Qual verurteilt sei, fragte man und schob den Teller zurück. «Weil sie eine Heuchlerin war und aus Hochfahrigkeit zur Kirche pilgerte, mit dem Mäntelchen der Frömmigkeit aufgeputzt. Gott aber sieht durch Schein und Maske und richtet nach der innern, der wahren, aufrichtigen Gottesfurcht!»

Einst gingen zwei Burschen, an seinem Allwissen zweifelnd, ins Pfarrhaus, um ihn auf die Probe zu stellen. In der Scheune hatten sie zwei volle Weinflaschen verborgen, taten, als ob sie verschmachteten und baten um einen Trunk. Gotsponer fasste sie in sein scharfes, graues Auge, hob den Finger und sagte: «Ihr seid mir die richtigen Schlemmer und Versucher! Zwei Flaschen liegen in der Scheune, und euer Wein ist besser als der meine!»

An einer Versammlung der Geistlichen ward ihm ein Streich gespielt. Man liess ihm keinen Nagel frei für den Hut, und als er im Saal erschien und die Haken alle besetzt waren, schlug er den Hut an die Wand, wo er ohne Stift kleben blieb. Bei seinem Gedeck fehlte der Löffel, und spöttisch forderte ihn der Nachbar auf, den Schuh auszuziehen und als Löffel zu gebrauchen. «Nein, das ist mir zu umständlich», erwiderte er gleichmütig, höhlte seine Brotrinde und schöpfte in aller Seelenruhe den Teller aus.

Nach der Mahlzeit ersuchte er die Gesellschaft, ein Binsenkörbchen mit frischer Sahne zu füllen. Niemand liess sich herbei, und da goss er selber die Nidel ins Körbchen und stellte es mitten auf den Tisch. Auch nicht ein Tropfen sickerte durch das Geflecht. «Hingesetzt hab' ich es», rief er heiter, «wer hebt es wieder weg? Niemand, ich muss es selber tun! Ach, wie viele Pfarrherren sind hier versammelt und so wenig Geistliche!»

In seinem Sprengel wohnte ein Ehepaar mit seinem einzigen Kinde, das ihnen viel Kummer und Sorgen bereitete. Eines Tages, als das Büblein nicht gehorchte und bösartig stampfte, rief der Vater gereizt: «Du unflätiges Puppi, geh hin zum Teufel!» Das Kind lief fort und kam nicht mehr zurück. Ob die Eltern es riefen und suchten, sie hörten und sahen nichts mehr von dem Kleinen. Sie begaben sich zum Pfarrer und baten um seinen Beistand. «Ich weiss genau, wo das Kind ist», sagte er, «folgt mir!» Bei einer alten Scheuer abseits des Dorfes behauptete er, da drinnen sei es. «Wir waren schon zweimal hier und haben gerufen», versicherten die Eltern, «hier kann es nicht sein.» Entschlossen ging der Pfarrer in den Stadel hinein und brachte das Kind an der Hand zurück. «Wie seltsam!» staunten die Eltern. «Warum hast du uns keine Antwort gegeben, Puppi, als wir dich riefen?» «Der Teufel ist vor mir gestanden und hat mir den Mund zugehalten. »

Die Magd des Pfarrers hatte die üble Gewohnheit, die Rahmkelle abzuschlecken. Obschon der Meister es wusste, liess er sie gewähren, denn sie war ehrlich, arbeitsam und eine zuverlässige Wirtschafterin. Während der Fastenzeit liess sie das Schlecken sein. Am Ostermorgen, als Gotsponer von der Kirche zurückkam, sagte er: «So, Anni, ich habe für dich eine Messe gelesen.» «Ja, warum das, Hochwürden?» «Ei, du hast ja sechs Wochen die Kelle nicht geleckt, und rechne ich für jeden Tag einen Batzen, so reicht es just zu einer Messe.»

Spät in der Nacht wanderte der Pfarrer mit dem Allerheiligsten auf den Berg und weckte die Wirtsleute. Erstaunt, den alten Herrn um diese Stunde hier oben zu sehen, fragten sie, was ihn herauffführe. «Ich komme, die Sakramente auszuteilen» «Für wen, es ist niemand krank bei uns!» «Doch, Eure Magd liegt am Sterben.» Sie ass doch mit uns das Abendbrot und ist erzgesund.» «Ich irre mich nicht», beharrte Gotsponer, und sie stiegen mit ihm die Treppe hinauf in die Kammer der Magd. Als der Pfarrer ihr die letzte Ölung gespendet hatte, verschied sie. Einst sassen drei Freundinnen beim Abendsitz. Die Spinnräder schnurrten, und die Zünglein plapperten von der Nachbarin links und von der Nachbarin rechts und zuletzt von den Toten und den Geistererscheinungen. Da pochte es an die Tür. Die Hausfrau öffnete, und Gotsponer trat freundlich grüssend über die Schwelle. «Ihr könnt nicht erraten, Hochwürden, wovon wir soeben geplaudert haben, und müsst entschuldigen, dass wir alle drei so verdattert aussehen.» «Ihr habt von den Geistern gesprochen und behauptet, es sei nicht glaubhaft, dass der Mensch nach seinem Tode umgehe. Ich will euch eine Geschichte erzählen, und dann urteilt selber! An einem Quatemberabend hat sich eine arme Seele, deren irdische Hülle wir eingesargt hatten, bei mir gemeldet: «Hochwürden, es fehlen mir noch drei Vergelt's Gott zu meiner Erlösung aus dem Purgatorium. Tut ihr mir den Gefallen, und wirket für mich, ohne meinen Namen zu verraten!» Ich habe es der armen Seele versprochen und mein Wort gehalten. Ich komme in gar viele Häuser hinein, zu Vornehm und Gering, und richte das Gespräch wie zufällig auf die verstorbene Person. Allein, ein Vergelt's Gott, das ihr gegolten hätte, wollte niemand aussprechen. Da plauderte ich mit einer armen alten Frau, und als ich so nebenbei die Abgeschiedene erwähnte, meinte sie flugs: «Ja, ja, die hat mir noch einmal einen Sack geliehen, vergelt's Gott!» Fürwahr, ein schönes und tiefes Wort, das Flügel hat und wie ein Gebet durch Wolken und Sterne zum obersten Richter sich emporschwingt. Noch zwei dazu, und die arme Seele schüttelt den letzten Staub der Erdhaftigkeit von den Füssen und flügelt den weissen Spuren nach zur Gottseligkeit. Ich traf mit andem Menschen zusammen und fragte zu guter Letzt jeweilen, ob sie das Mütterchen auch gekannt hätte. «Gewiss», hiess es, «das war so und so eine», und niemand wollte sich ihrer in Dankbarkeit erinnern. Sie scheint im Leben weder gut noch barmherzig gewesen zu sein. Da begegnete ich wieder einmal der alten Frau und lenkte das Gespräch auf die arme Seele. «Die hat mir einmal einen Sack geliehen», sagte sie, «Gott vergelt's!» und ich hatte deren zwei. Nach einiger Zeit, nachdem ich in allen Haushaltungen den Kehr gemacht hatte, suchte ich nochmals die Alte auf und erhielt beim Abschied das dritte Vergelt' s Gott! Am andern Tag erschien der Geist in meiner Stube und dankte, er sei erlöst, Gott vergelt's, und werde für mich beten in der Ewigkeit!

 

Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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