Der Pfarrer als Verräter

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Segensreich wirken heute die ehrwürdigen Väter Kapuziner als geistliche Hirten des geweckten Völkleins an der Matt zu Urseren. In alten Zeiten aber, so belehrt uns, und zwar ganz richtig, die Volksüberlieferung, hatten auch die Ursner Seelsorger aus der Zahl der Weltgeistlichen, und deren letzter war ein Graubündner.

a) Damals lebten aber, wie die allweise Sage meldet, »Urschner« und »Pintner« in argem Streit miteinander, wie manche sagen, wegen der Landesgrenze. Einmal, als gerade niemand in Ursern ernstlich an Krieg dachte, berichtete dieser Pfarrer seinen Landsleuten jenseits der Oberalp, sie sollten auf einen bestimmten Sonntag die Ursner bewaffnet überrumpeln; das Volk werde dann ausnahmslos in der Kirche sein; die Stunde des Gottesdienstes teilte er ihnen mit. Der Sonntag war da; es war um die Weihnachtszeit, bei grausiger Kälte: die Graubündner überschritten in grosser Zahl wohlbewaffnet die Oberalp; schon erschienen sie an den Halden ob dem Dorf. Eine Kindbetterin aber in Andermatt oder ein altes Muetterli war zu Hause geblieben, erblickte den Feind, dessen Absicht sie sogleich erriet, eilte zur sorgfältig geschlossenen Kirche, die damals am Fusse des Kilchberges stand, schlug die Fenster ein und schrie, so laut sie konnte: »D'Valzauser1 cheemet, d'Valzauser cheemet!« Die Männer zerschlugen wütend die Kirchenstühle, brauchten die Trümmer als Knüttel, rückten dem hinterlistigen Feind mit Knütteln, Sensen und Gabeln entgegen und besiegten und schlugen ihn so gründlich, dass aus seinen Reihen nur noch zwei Mann am Leben blieben. Dem einen stachen die unmenschlichen Ursner die Augen aus, dem andern schnitten sie die Zunge heraus, und so schickten sie dieselben heim. Den verräterischen Pfarrer hingegen, der an jenem Sonntag absichtlich länger Gottesdienst gehalten als gewöhnlich, verjagten (oder erschlugen) sie und erbaten sich für die Zukunft Kapuziner als ihre Pfarrherrn.
Jos. Huber; Fr. Simmen-Russi.

b) Eine andere Erzählart verlegt dieses Ereignis auf das Jahr 612 und beruft sich auf eine Inschrift in der alten St. Kolumbans-Kirche, widerspricht aber der Überlieferung, dass damals St. Sigisbert als erster Pfarrer von Ursern gewaltet habe.
Frz. Jos. Müller u.a.

c) Oder: Die Ursner trieben die Bündner bis zur heutigen Landesgrenze zurück.
Felix Russi

d) Ein altes Fraueli war nicht zum Gottesdienst gegangen, sah die Feinde kommen und lief zur Kirche mit dem Ruf: »Kurwalder cheemet!«
Jost Nell.

Fußnoten
1 Vielleicht Valzasker d.h. Leute aus Val Verzasca im Tessin?
 

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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