Noch mehr von starken Leuten

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

a) Ein aussergewöhnlich starker Ursner war Felix Renner zu Realp, genannt der »gsturä Felix«, weil er etwas geistesgestört war. Er war Alpknecht zu Garschen am alten Furkapass. Dort geschah es oft, dass die Alpschweine in die Hütte eindrangen und im Käse und Zieger gschändeten. Sie lehnten darum Steine an die Hüttentüre, die nach aussen aufging. Aber die Schweine wälzten sie oft weg. Da holte Felix einen Block aus dem Bachbett herbei, den drei starke Männer kaum zu bewegen vermochten. Nun war die Hütte gegen den Besuch der Borstentiere gesichert; aber, wenn der Block angelehnt war, mussten auch die Älpler auf Felix warten, falls sie in die Hütte wollten; denn nur er vermochte, ihn wegzuräumen und den Eingang frei zu machen. Von diesem Steinblock ist heute nur noch ein Dritteil erhalten, und der stärkste Mann vermag ihn nicht zu heben.

Einmal hob Felix im Zorn in der Alp Oberkäsern mit seinem Kopf das ganze Hüttendach mit samt der First und den Dachsteinen in die Höhe.

Eines Tages, da er mit seinem Saumtier Käse nach Realp befördert hatte, begegneten ihm auf dem Rückwege zur Alp einige Walliser, die ihm riefen: »He Felix! wollen wir nicht einen freundlichen Schwinget probieren?« Phlegmatisch entgegnet er: »Wie ihr wollt. Soll ich absteigen?« »Gewiss!« rufen die Walliser, »man schwingt nicht vom Ross herab!« Sachte steigt Felix ab. In wenigen Minuten sind die Walliser zusammengehauen und liegen am Boden. Der eine von ihnen war ein Ratsherr. Daher riefen seine Kameraden dem Ursner: »Behandle ihn glimpflich; er ist ein Ratsmitglied!« Aber Felix war der Ansicht, dass dem Ratsherr mehr gehöre als den andern, und verabfolgte ihm einige Streiche mehr. Am folgenden Morgen konnte man auf dem Kampfplatze Walserbatzen zur Genüge zusammenlesen.

In der Täube steckte er einmal Kopf und Nacken unter die »Hiänä« des Alpkessels, der mit kalter Schotte gefüllt war, und hob ihn so aus dem Feuerloch in die Höhe.

b) Ein starker, urchiger Mann war auch Ratsherr Antoni Bennet z'vor-Dorf. Er ging zur Sommerzeit stets barfuss, barhaupt und hemdärmelig in den Rat nach Altdorf. Die stärksten Lederseile zerriss er mit den Händen. Einst trug er das ganze Gepäck einer Herrschaft, zu dessen Transport sie ein starkes Pferd gemietet hatte, ganz allein von Meiringen über den Grimsel- und Furkapass bis Hospental, wo er zwei Stunden vor der Herrschaft ankam, obwohl er gleichzeitig mit ihr aufgebrochen war.

Wie andere Ursner ging er alle Jahre im Horner und März nach Sitten in die Weinberge, um dort etwas zu verdienen. Einst umstanden ihrer einige Ursner und Walliser auf dem Platze zu Sitten einen Ambos. Die Walliser versuchten, diesen vom Boden zu heben; aber keiner brachte es zustande. Da sagten die Ursner: »Gang, Toni, und zeig-nä, wiämmä-n-äsonnä-n-Ambos lipft!« Und richtig! Toni hob ihn mit beiden Händen vom Boden und schwenkte ihn mehrere Male zwischen seinen Beinen wie eine Glocke.

Vinzenz Simmen

c) So ein starker Mann lebte auch in der Geissgass zu Gurtnellen. Ein Riesenmann! Ein Frässmuttli konnte man ganz ring durch seine Hosenstösse herunterziehen. Der kam einst dazu, als etwa 6–7 Arbeiter bei der Schönibrücke, die grad gebaut wurde, an einem Baum schafften und werkten, um ihn auf die andere Seite der Reuss zu transportieren. Da meinte er, den trage doch ein einziger, nahm ihn auf die Achsel und trug ihn über den Baum, der über die Reuss gelegt war, ans jenseitige Ufer und legte ihn gemächlich an Ort und Stelle nieder, wo sie ihn haben wollten.

Jos. Baumann, Rütti

d) Zu Grossprächtigen in Gurtnellen wohnte, es sind noch keine 100 Jahre seither verflossen, der »grosse Baumann«, ein starker, aber uwitziger und stolzer Bauer. Er prahlte gern mit seiner rohen Kraft und meinte, wenn er sich an einer Droslenstaude1 festhalten könne, so würde ihn die stärkste Lawine nicht vom Fleck bringen. Ein anderes Mal wettete er, man könne ihn auf eine Mutte legen, Pulver nach Belieben unter der Mutte anzünden, so werde es ihn doch nicht wegzusprengen vermögen, vorausgesetzt, dass er sich mit seinen Füssen gegen die Oberdiele feststemmen könne. Aber dassälb Mal het 's-ä düe meini doch nu appä'tah, das-er's zum zweitä Mal nimmä 'probiärt het. Midem Läbä syg er nu darvo-chu, aber chrank syg er grad ä Wyl gsy; das chammisi doch äu dänkä.

Eines Abends kehrte er etwas angeheitert von Wassen her heimwärts. In einem der Häuser auf der »Höhe« war eine Kindsleiche auf einer Bank hart am Fenster des Erdgeschosses aufgebahrt. Im Augenblick, da Baumann hier vorbeigehen wollte, wachte gerade niemand bei der Leiche. Darum langte er mit seinem Stock durch das Fenster hinein, stürzte die kleine Leiche auf den Boden hinunter und machte sich eilig davon. Aber am nächsten Tage war er ganz vertschüderet; sein Kopf war angeschwollen und verbrätschet, und er musste mehrere Tage das Bett hüten.

Johann Tresch

Fußnoten

1 Drosle = Alpenerle, Alnus viridis

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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