Die Nidelhexe

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

a) In einem Heimkuhalpeli hauste, ganz abgesondert von den übrigen Leuten, ein Wybervölchli, das selten ausging, nie Proviant holte und doch gut lebte, besonders aber Nidel und Anken in Hülle und Fülle besass, obwohl es kein Haupt Vieh, weder Kuh noch Geiss, zu melken hatte. Wohl bettelte es dann und wann, aber selten, und es gab ihm dabei nicht wohl aus. In dem Alpeli machte sich aber ein Übelstand bemerkbar; von Zeit zu Zeit wurde nämlich bald in diesen, bald in den andern Nidelkellern die Nidel abgenommen von diebischer Hand. Endlich fassten die Leute Verdacht gegen das einsame Wybervölchli und dachten, es könnte am Ende noch – Gott b'hiät-is darvor! – eine alte Hexe sein. An gewissen Abenden sah man in seiner Hütte so ein kleines »Züsiliächtli«. Als dies wieder einmal der Fall war, gingen zwei Burschen und passten dem Wybervölchli ab. Zuerst sahen sie es scheinbar planlos in der Hütte herumgneisten; dann kam es mit einem Ankenkübel und schüttete etwas Wasser hinein, schob noch einen Stämpfel, den es mit einem roten Lappen umwickelte, in den Kübel und schlug den Deckel darauf. Auf dem roten Lappen waren Buchstaben. Jetzt trieb es den Kübel gottlos gleitig um und sagte dazu: »Lüzifer, vor Raphael, Schneeveegel, Läckdafis, Pumpis a' diä Wyggä.« Das murmelte es zehn oder zwölfmal hintereinander. Dann hob es den Deckel ab, und aus dem Butterfass hüpfte behende wie an einem Schnürchen ein ganz kleines, brandschwarzes Büebli hervor. Aber die Hexe hatte nicht umsonst getrieben; sie entnahm dem Buttertasse einen schönen Schibel Anken, und am nächsten Morgen sahen mehrere Älpler, dass ihnen jemand die Arbeit des Abrahmens der Milch schon abgenommen hatte.

Fr. Arnold-Gisler, 50 J alt, von Spiringen

b) Es gibt alte Leute, deren Eltern diese Hexe noch gekannt haben. Sie wohnte zur Sommerszeit bis spät in den Herbst in Brunni, obwohl sie kein Haupt und keinen Schwanz Vieh zu eigen hatte; im Winter kam sie talauswärts und wohnte in Schleesers Häuschen in der Nähe des Bades; sobald es anfing, Frühling zu werden, zog sie wieder nach Brunni. Eines Abends konnten ihr einige Burschen auch zuschauen, wie sie an zwei glissmeten Strichen an der Zimmerwand zog und auf diese Art den Bauern die Kühe molk. Als sie gestorben war und die vermeintlichen oder wirklichen Erben den massenhaft hinterlassenen Anken an sich zogen, tohlte es ihn bei ihnen gar nicht, immer kam er über Nacht wieder zurück in das Häuschen beim Bad. Endlich fanden sie auf einem roten Streifen Papier bei einer der Ankenballen die Inschrift: »Gehört den Armen!« Jetzt verteilten sie den Anken unter die Armen, und hier hatte er Ruhe.

Karl Gisler, Unterschächen, 75 J. alt

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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