Kampf mit Geistern

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ein lustiger Bursche, den ich gut gekannt habe, der sozusagen immer vor sich her pfiff und johlte, wanderte eines Nachts am Rynächt dahin. Wie er zum Gässli gelangte, das dem Bälmli gegenüber zur Allmend führt, erblickte er »Einen«, der am Dornenhag kauerte. Und är gleitig d'r Lumpä uber dä Chopf appä und uff der los und gryft'm d'Wadä. Aber im nämlichen Augenblick packt ihn auch der Unbekannte, und beide ringen miteinder und zerren sich, bis am Morgen beim ersten Klang der Betglocke der Unbekannte plötzlich nicht mehr zu sehen ist. Den Burschen trafen Leute ohnmächtig auf der Strasse liegen.
Fr. Zgraggen-Scheiber, 76 J. alt, Schattdorf

Drei übermütige Seelisberger Burschen kehrten eines Abends jauchzend und johlend auf der alten Gasse von Emmetten her, wo sie z'Stubeten gegangen, heim. Auf einmal sahen sie »Einen« hinter dem Hag stehen, der ihnen seine Rechte zum Häägglä entgegenstreckte. Nach einigem Zögern nahmen sie die Herausforderung an. Aber keiner von allen wurde dem Unbekannten Meister; alle zerbrachen den Mittelfinger und mussten ihn später abnehmen lassen.
Fr. Truttmann-Truttmann, Seelisberg, 35 J. alt.

Wenn allemal ein gewisser Schächentaler Ratsherr abends aus der Ratssitzung heimkehrte, stellte sich ihm beim Wyliger-mättäli ein Gespenst in den Weg und belästigte ihn. Er klagte solches endlich einem Geistlichen, und der gab ihm ein gesegnetes Schwert und die Weisung, das nächste Mal mit dieser Waffe einen Kreis in der Wiese um sich zu beschreiben, darin zu stehen und den Geist damit anzugreifen und sich zu wehren. Aber es gehe auf Leben und Tod! Nachgeben, unterliegen, den Kreis verlassen dürfe er unter keinen Umständen. D'r Ratsherr häig das äso g'macht, und wyl er mit dem Geist 'kämpft häig, häig der immer gwysset und gwysset und syg z'letscht ganz im Wyssä da gstandä, häig'm 'tanket und'm wellä d'Hand gä. Aber d'r Ratsherr häig'm wohlwysli äs Schindäli anägha. Und d'rnah syg der Geist verschwundä. Der isch da erleest wordä.
Alois Müller, 58 J. alt, Bürglen

Ungeheuer und Gespenst sind nicht das nämliche; aber den Unterschied kann ich euch nicht sagen; nur das weiss ich, dass die Gespenster mehr Gewalt haben, dem Menschen zu schaden, bösartiger und schwieriger zu erlösen sind als die Ungeheuer. Aber das Ungeheuer, das in der Hostet am vordern Mühlebach hauste, war auch recht boshaft, sonst hätte es nicht Gewalt gehabt, dem Rütti-Peter, der daselbst wohnte, nachts das Kind, das er neben sich im Bette hatte, von seiner Seite wegzunehmen und auf die Diele hinauszustellen oder in die Stube hinaus zu tragen. Und das hatte es schon öfters getan. Endlich wurde aber der Peter böse. Weil es allemal aus der Kammer über eine Stiege neben dem Bett in das Stübli herabkam, ging er eines Abends und vermachte die Türe, welche die Stiege abschloss. Nachts hörte er es über die Kammerdiele hinübergehen. Jetzt dachte er: »Ja, ja, heute abend wollen wir sehen, wer da Meister ist, ich oder du!« und machte sich gefasst. Kaum gedacht, hatte es ihm das Kind schon weggenommen und in die Stubendiele hinausgestellt. Das machte ihn noch böser. Eiligst stand er auf und lief in die Stube hinaus. Und dert isch äs Mansch gsy, und är isch a' das Mänsch hi und het mid-em afah schwingä und het mid-em g'schwungä, bis'r vom Verstand chu isch. Wo-n-är wider zum Verstand chu isch, isch är angähnds uf'm Bett gsässä und het d'r Chopf i dä Händä gha, und ds Chind isch im Bett glägä. Sitdem häig-er Rüew gha und ds Chind oü.
Theresia Gisler, 73 J. alt, Spiringen

Der alte Spittler von Erstfeld – es soll bei 100 Jahren seither sein – kam eines Abends von Altdorf her aus dem Rat. Am Rynächt kam auf einmal ein grosser Mann mit mächtigem Bart, ein Licht in der Hand, aus den Grotzen geschritten, grad auf den Spittler zu, und zwang diesen zu einem Schwinget. Der konnte sich dessen nicht erwehren und schwang mit dem Geiste – ein solcher war es – lange, lange. Aber er wurde Sieger. Auf einmal ging der Tote weg. In Schweiss gebadet, totmüde, ganz vom Schauder ergriffen, kam der Spittler zu Hause an, zog Tschopen und Hut ab, hängte sie an einen Nagel und sagte: »So, das leggi-n-i nimmä-n-a'!« ging ins Bett und war in drei Tagen eine Leiche. Das hed-em doch chennä d'r Tod a'tüe! – Jä, das sell ä Grundwahrheit sy!
Josef Zieri, 70 J. alt.

Mein Vater erzählte, er sei einmal von einer Stubeten heimzu marschiert. Da sei ihm ein Geist, ein Gespenst, begegnet. Das häig-ä-n-a'packt und häig mid'm gschwungä bis gäg'm Morged anä. Bis uff d'Chnyw häigs-ä 'bracht, aber wytters nitt. Zletscht häigs nu zwee Stei gnu und häig-s' zwisched dä Händä zerribä zu Mähl und häig gsäit, wenn er nit d'Nacht-büebähosä-n-a'hätt, sä täts-ä zerrybä wië dië Stei.
Karl Exer, Silenen

 Ein sehr kräftiger, starker Seelisberger Bursche stand eines Abends grad im Begriffe, bei seiner Liebsten vor das Fenster hinaufzusteigen, um dort die Rede zu verkehren und um Einlass zu bitten, als auf einmal ein Unbekannter daherkam, ihn anpackte und einen Hosenlupf probierte. Der Seelisberger musste unterliegen und kam nicht mehr unter seinem ausdauernden Widersacher weg, bis am Morgen zu Seelisberg die Betglocke läutete. Mit deren erstem Ton war der Unbekannte verschwunden.
David Imhof

Ein Mann von Silenen blagierte eines Abends in einer Wirtschaft zu Erstfeld beim Mostglase mit seiner Kraft und rühmte sich, es möge ihm diesen Abend auf seinem Heimweg entgegentreten, was nur wolle, Geist oder Mensch, er nehme es mit jedem auf. Spät machte er sich auf den Weg. Aber schon am folgenden Vormittag vernahm man zu Erstfeld, er liege daheim halbtot im Bette, mit einem hochangeschwollenen Kopf, so gross wie ein Bienenkorb. Bei der Ellbogenkapelle sei »Einer« auf der Mauer gestanden. Ohne Kopf! sei dann heruntergesprungen und habe mit dem tapfern Silener geschwungen bis zum ersten Klang der Betglocke am Morgen.
Zacharias Indergand, Erstfeld

1. Rothüser-Toni, der alte, von Erstfeld, kehrte einst gegen Mitternacht von Schattdorf her nach Hause zurück. Als er beim sogenannten Blutgaden am Rynächt ankam, sah er Einen auf der Mauer kauern; es machte den Eindruck, als halte er den Kopf vornüber auf seinen Armen eingesteckt, und Toni dachte, der wolle ihm aufpassen und ihn angreifen. Dem wollte er aber zuvorkommen; furchtlos trat er an die Mauer und riss den vermeintlichen Nachtbub herunter. Am Boden rang er mit ihm die ganze Nacht hindurch, ohne Meister zu werden, aber auch ohne zu unterliegen. Die beiden brachten einander jeweilen bis auf die Knie, aber auf den Rücken zu werfen vermochte keiner den andern. So kämpften sie miteinder bis zum Betenläuten am Morgen. Am nächsten Tage prahlte Toni bei seinen Freunden, wie er dem Unbekannten zu schaffen gemacht habe, und meinte, wenn noch einer bei ihm gewesen, den hätte er schon wollen! Und richtig, am Sonntag nahm er einen Begleiter mit. Der Unbekannte war wieder am nämlichen Platz, aber der klügere Kamerad betrachtete ihn näher und merkte, dass er keinen Kopf hatte. Da riet er vom Kampfe ab, und die beiden Erstfelder traten still den Heimweg an. »Ich dänkä, der danä wär de nu fir beed g'sy und nu fir mängärä!«

Eine angeheiterte Gesellschaft wanderte um Mitternacht von Schattdorf her gegen Erstfeld. Am Rynächt sahen sie einen Mann mit auf der Mauerkrone aufgelegtem Kopf. Einer von ihnen packte ihn und zerrte ihn in die Strasse herunter. Und jetzt rangen die beiden miteinander von 1 Uhr bis am Morgen. Bald warf der Erstfelder den Unbekannten, bald dieser den Erstfelder über die Mauer hinüber, bald lagen sie in der Matte, bald in der Landstrasse. Gerade hatte der Erstfelder den Unbekannten wieder in der Landstrasse und schlug mit seiner Faust auf ihn ein. Da fing es in Attinghausen an Ave zu läuten. Mit dem ersten Klang der Glocke verschwand das Gespenst und sauste des Erstfelders Faust mit aller Wucht auf das Strassenkies.

Franz Zurfluh, ein junger, bäumiger Erstfelder Bursche, wurde eines Abends in einer Matte am Rynächt von einem andern Nachtschwärmer angegriffen und zu Boden geworfen. Am Boden rangen sie miteinander die ganze Nacht hindurch, so dass bald der eine bald der andere obenauf war und keiner den andern wirklich besiegte. Aber morgens mit dem ersten Ton der Betglocke war der unbekannte Angreifer plötzlich verschwunden. Franz hatte mehrere Tage einen geschwollenen Kopf, und aus seiner Nase kroch zuletzt »ä Güegä« (Käfer), die man sorgfältig in ein Glas verschloss und dann dem Arzt zeigen wollte. Aber auf unerklärliche, wunderbare Weise verschwand das sonderbare Tierchen aus seinem Gefängnis. – Das hat mir 1913 ein junger Neffe des Franz Zurfluh erzählt.
Alois Muheim; Julius Furrer; Franz Aschwanden u.a.

Ein Ratsherr Arnold im Schächental kam aus dem Rat und wanderte abends spät gegen die Lehmatt hinauf. Beim hintern Mühlebach vor Urigen packte ihn etwas an und wollte ihn über die Brücke herunter zerren. Bis zum Bach kam es mit ihm, aber hineinstürzen konnte es ihn nicht. Zu Hause erzählte er alles, aber sie wollten es nicht glauben und gingen am Morgen hin, um Nachschau zu halten. Da sahen sie ein Gewühl und Gestampf im Schnee, wie wenn zwei miteinander geschwungen hätten. – Oder: Er schaute selber nach und sah nur sein eigenes Gspor und als ob er einen Wollensack herumgeschlagen hätte.
Schriftl. v. HH. Kapl. Truttmann

Der junge Bifängler-Hansi von Gurtnellen hirtete in seinem Gut Aarni in Meien und logierte dabei in einem Häuschen der Nachbarschaft. Nach alter guter Bauernsitte kochte er sich jeden Tag einen Milchreis. Das ging so eine Zeitlang; da fing es an, ihm Russ in den Reisbrei zu werfen. Kam er hungrig aus dem Stall oder von der Arbeit und wollte sich an der gesunden, wohlschmeckenden Speise gütlich tun, dann war sie brandschwarz und mit einer hohen Russchicht bedeckt. Da blieb er einmal, nachdem er den Reis im Pfännchen über Feuer getan, in einem anstossenden Gemach, um zu sehen, wer ihm solchen Schabernack spiele. Auf einmal brach in der Küche ein Lärm los wie in einer Mühle. Das ging zu, ripps rapps, man hätte meinen sollen, es wäre Krieg. Hansi liess es gewähren, und als er nachher die Küche betrat, richtig, da war der Milchreis branderdenschwarz. Am folgenden Abend jedoch stürzte er sich, sobald der Lärm wieder losging, in die Küche hinaus und rief herausfordernd: »Mit diër wil-i scho schwingä! Lüegä wil-i, ob-i nitt stercher syg ass dü!« Es war ein Gespenst da, halb sichtbar und halb unsichtbar. Das griff er an, fühlte aber nur dessen Beine, und diese waren rauh wie Tannrinde. Sie rangen miteinander, der Bifängler und das Gespenst, brachten einander auf die Knie, aber nicht weiter. Jenem wurde es nach und nach schwindlig; er fiel um und wurde halb bewusstlos am Morgen angetroffen. Man musste ihm »Heer und Dokter« holen, und viele Wochen lang lag er mit geschwollenem Kopf auf dem Krankenbett.
Josefa Walker, Amsteg, u.a.

Ein junger, heiratslustiger Seelisberger ging eines Abends gegen Emmetten auf Unterwaldnergebiet z'Stubeten. In dem einsamen Häuschen im Laueli, nahe der Kantons- und Gemeindegrenze, erblickte er Licht, obwohl niemand dort wohnte, und es wunderte ihn, was solches zu bedeuten habe. Er lenkte daher seine Schritte dem alten Hüttlein zu, stieg ans Fenster hinauf, schaute hinein durch die halbblinden, grünen Butzenscheiben und erspähte ein unbekanntes Weibsbild, das am altmodischen Tische sass und die langen, schwarzen Haare wirr über das Angesicht auf die Tischplatte herabhängen liess. »Hüss-Jumpfärä!« rief der Nachtbub nach gemeinem Nachtbubenbrauch. Da erhob das Weibsbild den Kopf, schüttelte die Haare zurück und warf dem Ruhestörer einen gehässigen, giftigen Blick zu. Das gefiel ihm nicht, und darum sprang er rasch hinunter und wollte sich davon machen. Doch wehe! Das Weibsbild ist auch schon da und stellt sich herausfordernd neben den kräftigen, stramm gewachsenen Burschen. Es beginnt mit ihm Achseln zu putschen. Das war früher eine beliebte Kraftprobe unter den Nachtbuben. Einige kräftige Stösse, und der Bursche liegt auf dem Rasen. Doch rasch erhebt er sich und steht aufrecht da, bereit zum Angriff. »Mit diër wil-i 's hinecht scho nu üssmachä, dü eländs Blagg dü!« ruft er. Aber zum zweiten Mal fliegt er zu Boden. Das Weibervolk packt und übertröhlt ihn am Boden, kniet ihm auf die Brust und will ihn erwürgen. Jetzt wird ihm doch angst. Er fängt an, den Englischen Gruss zu beten, inbrünstig, wie vielleicht noch nie in seinem Leben. Da war das Gespenst auf einmal verschwunden.

Ob der Seelisberger das Dorfen aufgesteckt, weiss ich nicht. Sicher ist's, dass er geheiratet, und einer seiner Enkel hat mir diese »wahrhaftige« Geschichte erzählt. Ein zweiter Erzähler nannte aber einen andern Helden.
Frz. Aschwanden; K. Zgraggen, 82 J. alt.

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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