Vom Armenseelenlicht

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

a) Einem Mann zu Richligen war die Frau gestorben, und er liess während des Dreissigsten für sie das Lichtlein brennen. Doch kam es ihm mit der Zeit zu teuer vor, und er ging mit dem Gedanken um, es nicht mehr zu unterhalten. Als er nun eines Abends heimkam und zufällig zuerst zum Fenster hineinschaute, sah er eine Anzahl Leute am Tisch um das Dreissigstlichtlein herum sitzen, und darunter erkannte er seine verstorbene Frau. Es waren alles arme Seelen. Nun fuhr er doch fort, das Lichtlein für die Verstorbene zu unterhalten.

Frau Baumann-Gisler, Gurtnellen, 62 Jahre alt

b) Meine Mutter liess jede Samstagnacht das Öllichtlein – Samstagliecht – für die armen Seelen brennen. Einmal nun hatte sie kein Öl mehr, da zündete sie den noch ölgetränkten Docht an und sagte: »Daran mögt ihr jetzt haben, solange es währt, ich habe in Gottes Namen kein Öl.« Und siehe! es brannte noch am Morgen, wie wenn genügend Öl daran getan worden wäre. Jetzt sagte sie: »Habt ihr jetzt so sparen können, so lösche ich es nicht, es mag brennen, bis es selber erlöscht«. Und es brannte bis zum Mittagläuten.

Karl Gisler, Unterschächen, 75 Jahre alt

c) Ja, und mir hat das Holzer-Babäli von Spiringen auch einmal erzählt: Es habe einmal am Abend, als es das Armenseelenlicht anzündete, zu spät bemerkt, dass das Öl nicht mehr für die ganze Nacht ausreiche; aber ins Dorf laufen wollte oder konnte es doch nicht mehr. Als es dann während der Nacht in die Stube hinausschaute auf den Tisch, wo das Licht brannte, habe es eine Anzahl arme Seelen gesehen, die um den Tisch herumgestanden seien und ganz steif auf das Licht geschaut hätten, und eine habe auf einmal ihren Finger in das Öl getaucht, und darauf sei das Licht mit einem kleinen Knall erlöscht und seien alle verschwunden. Das Babäli habe dann den Psalter für sie gebetet.

Fr. Achermann-Planzer, Flüelen, 54 Jahre alt

d) Einem Ehemann in Schattdorf lag es nicht recht, dass seine Frau ein Armenseelenlicht unterhielt; er nannte solches Getue eine Verschwendung, weshalb sie es in den Keller hinunter trug und dort überdies mit einem Fass bedeckte. Aber er fand es auch hier. Doch, wie er das Fass lüpfte, erkannte er eine grosse Anzahl arme Seelen, die sich auch unter dem Fasse um das Licht geschart hatten.

Katharina Gamma, 50 Jahre alt

e) Franziska Gisler, ursprünglich von Bürglen, liess in ihrem Wohnhaus zu Flüelen das Nachtlicht für die armen Seelen brennen. Eines Nachts hatte sie die Stüblitüre offen gelassen, und als sie einmal in die Stube hinausschaute, erblickte sie dort eine dichte Menge armer Seelen rings um den Tisch herum, nur an einer Stelle, wo der mit Kleidern behangene Stuhl stand, konnten die armen Seelen nicht an den Tisch heran. Da stand Franziska auf und entfernte den Stuhl. Sie hat es selber erzählt.

Frau Gisler-Zwyssig

f) Weder beim Dreissigst- noch beim gewöhnlichen Armenseelen-Lichtlein darf ein anderer Gegenstand auf dem Tische liegen. Auch dürfen keine Stühle um diesen Tisch herum stehen. In einem Hause in Flüelen liess einmal die Hausfrau einen mit Gewand beladenen Stuhl an einem solchen Tische stehen. Während der Nacht erwachte ein unschuldiges Töchterlein, schaute um sich, weckte dann die Eltern und sagte: »Nehmt doch den Stuhl mit dem Gewand dort vom Tische weg, es stehen ein ganzer Haufen Leute davor und können seinetwegen nicht zum Tische gelangen.« Man darf auch nicht das Lichtlein zur Arbeit profitieren.

Neben das Lichtlein stellen manche Leute ein Glas mit gewöhnlichem Wasser, dass die armen Seelen darin ihre Zungen abkühlen können.

Frau Gisler-Zwyssig, Isental

g) Eine Frau in Andermatt wollte ein Armenseelenlichtlein in ihrem Hause unterhalten, aber der Mann duldete es nicht. Darum stellte sie es in den Keller. Da war einmal der Mann längere Zeit fort. Diese Gelegenheit wollten eines Samstagsnachts Diebe benutzen und in diesen Keller einbrechen; denn sie wussten, dass dort reiche Speisevorräte aufgespeichert waren. Aber wie erstaunten sie, als sie darinnen das Lichtlein sahen und dabei eine grosse Volksmenge! Da ergriffen sie die Flucht. Es waren die Armen-Seelen gewesen, die sich um das Licht versammelt hatten. Die Diebe selber erzählten später einmal ihr Erlebnis.

Franz Zgraggen

h) Wenn aus einer Familie eine Person gestorben, so lassen zu ihrer Seelenruhe die Angehörigen während den nächsten dreissig sich folgenden Nächten ein Öllichtlein im Hause brennen, man nennt es »Dryssgischliächtli«. In manchem Hause lässt man überhaupt alle Nächte vom Samstag auf den Sonntag solche Lichtlein – Armä-Seeläliächtli – brennen für alle armen Seelen.

Eine sparsame Hausfrau ennet der Märcht, die für ihren verstorbenen Gatten Leonz ein solches unterhielt, wollte eines Abends in seinem schwachen Scheine nähen. »Der Lunzi-sälig het gwiss nyt därgäge, wenn ich dz Liächtli scho midem teilä«, sagte sie sich. Doch siehe! dreimal nacheinander löschte es ihr das Lichtlein aus, und sie musste das Nähen an diesem Abend aufgeben (19. Jahrhundert).

i) Auf dem Tisch, wo das Licht brennt, duldet es keinen andern Gegenstand, die armen Seelen wollen einen saubern Tisch haben. Ein Schuhmacher spottete dieses Aberglaubens und stellte am Abend ein Paar Schuhe neben das Licht. Aber wohl! am Morgen lagen sie am Boden, obwohl niemand etwas an ihnen gemacht hatte (19. Jahrhundert).

k) Eine Person von Schattdorf, namens Karl, brannte für den verstorbenen Grossvater das Dreissigstlichtlein. Eines Abends rief es ihm dreimal »Kari!« und er erkannte sofort die Stimme des Grossvaters. Er schaute um sich und bemerkte, dass das Lichtlein erloschen war, das er jetzt sofort anzündete (20. Jahrhundert).

l) Man sagt, dass sich um dieses Licht die armen Seelen versammeln. Wenn man dabei arbeitet, so gilt das Lichtlein nicht.

Anton Stadler, Frau Mattli-Bissig und a.

m) Auf einem Tisch, wo das Armenseelenlicht brannte, blieb aus Versehen ein Messer liegen. In der Nacht wurde das Licht immer wieder ausgelöscht. Da ging eine Person und tastete auf dem Tisch umher und es kam ihr eben das Messer in die Hand. Sie nahm es weg, und jetzt brannte das Licht ohne Unterbruch.

n) Zu Unterschächen ist es in manchen Häusern Brauch, bei dem Lichtlein in einem Beckli oder Glas etwas reines Wasser auf den sauber abgeräumten Tisch zu stellen. Über den Ursprung des Brauches erzählt man: Einmal blieb aus Zufall ein Beckli voll Wasser stehen auf einem solchen Tisch. Da rief plötzlich ein ganz kleines Knäblein, in dem es auf den Tisch zeigte: »Müetter, lüeget, wie da ä Hufä ganz chlini Gofli um das Beckli ummä sind und d'Fingerli im Wasser wäschet!« Die Mutter sagte das dem Pfarrer, und der erklärte, das seien arme Seelen, die ihre Hände im Wasser abkühlen. Seitdem obiger Brauch.

Frau Baumann-Müller, Frau Gisler-Arnold, Karl Gisler

o) Ein anderes Mal blieb ein Papierschnitzel auf dem Tisch mit dem Armenseelenlicht. Da sagte ein unschuldiges Kind, sie sollen es wegtun, sonst dürften die armen Seelen nicht kommen und die Fingerchen ins Wasser auf dem Tisch tauchen.

Frau Arnold-Gisler

Quelle: Müller, Josef: Sagen aus Uri 1-3. Bd. 1-2 ed. Hanns Bächtold-Stäubli; Bd. 3 ed. Robert Wildhaber. Basel: G. Krebs, 1926, 1929, 1945

 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)