Des Zwergleins Hochzeitsgabe

Land: Schweiz
Region: Emmental
Kategorie: Sage

Vor Zeiten lebte zu Escholzmatt im Entlebuch ein Erdmännlein, das den Kindern des Dorfes viel Gutes erwies. Ganz besonders wohl mochte es ein armes, braves Mädchen leiden. Als es gross geworden war, warb ein Bursche der Gegend um seine Hand.

Das Zwerglein, das wünschte, das Mädchen einmal wahrhaft glücklich zu sehen, war aber darüber wenig erfreut. «Dieser junge Mann wird dich nie glücklich machen», sprach es zu ihm. «Ihm kann ich die Hochzeitsgabe nicht anvertrauen, die ich für deinen Geliebten schon lange bereit halte.»

Das Mädchen war darüber sehr betrübt, sah aber bald ein, wie gut es das Erdmännlein mit ihm meinte. Später heiratete es einen Jüngling, zu dem auch das Zwerglein volles Zutrauen haben konnte.

Und was schenkte nun das Männlein dem Bräutigam? Etwa einen Sack voll Gold oder Edelsteine? Ach nein, nur ein Feuerzeug, wie man es zu jener Zeit brauchte, um Feuer zu schlagen. Was sollte er mit dem Stahl, dem Feuerstein und dem Zunder sonst anfangen? Er hatte doch zumindest gehofft, durch des Zwergleins Hochzeitsgabe mit einem Schlag ein reicher Mann zu werden.

Das Männlein, das die Enttäuschung bemerkt hatte, beschwichtigte den Mann: «Schau, das ist kein gewöhnliches Feuerzeug, trage Sorge dazu wie zum allergrössten Schatz und brauche es nur in der allerhöchsten Not. Dann aber, wenn du Feuer schlägst, wird augenblicklich jemand hinter deinem Rücken stehen und nach deinem Wunsche fragen. Antworte ihm, ohne dich dabei umzuschauen, und dein Wunsch wird erfüllt werden. Deiner Frau aber darfst du von dem sonderbaren Geschenk nichts sagen.» Damit verschwand der Zwerg.

Im kommenden Sommer stieg der junge Ehemann, ein gewandter Bergsteiger, in die Felsen hinauf. Da erspähte er auf einem Fluhsatz die prächtigsten Flühblumen. Die wollte er seiner lieben Frau zum Grusse heimbringen. Der vorsichtige Kletterer erstieg die gefährliche Stelle und pflückte das Sträusschen. Aber da löste sich das Felsstück, auf dem er stand und sauste polternd zu Tal. Nur ein schmales Grasband bot seiner Hand noch geringen Halt und bewahrte ihn vor dem augenblicklichen Sturz in die grausige Tiefe. In diesem Augenblick der Todesgefahr erinnerte er sich des Feuerzeuges.

Mit Mühe und Not und unter ständiger Lebensgefahr vermag er eine Hand frei zu bekommen. Darauf zieht er das Wunderding aus der Tasche, schiebt den Feuerstein und den Zunder zwischen zwei Finger der Hand, mit der er sich am Grasband festklammert und schlägt mit der andern Feuer. Kaum ist das geschehen, fragt jemand hinter seinem Rücken nach seinem Begehr, und kaum ist  der Wunsch ausgesprochen, ist er auch schon erfüllt. Der Mann ist augenblicklich aus seiner gefahrvollen Lage befreit.

Nun ruhte das wundertätige Feuerzeug wieder lange und geriet halb in Vergessenheit. Einmal erkrankte die Frau. Da kam das Zwerglein und brachte Arzneien. Doch der Mann hielt die Mittel für wertlos und gab sie seiner Frau nicht. Darum wurde es mit ihrer Krankheit stündlich schlimmer. Schon lag sie in den letzten Zügen.

Der Mann war untröstlich und schluchzte: «Ist denn auf Gottes Erdboden kein Kraut gewachsen, das hilft? Narr, dein Feuerzeug! Warum konnte ich doch nicht früher schon daran denken?» Er greift in die Trasche, aber, o weh, kein Feuerzeug ist mehr da! Erst jetzt fällt ihm ein, er möchte das Erdmännlein mit seinem Misstrauen erzürnt haben. «Nur noch dieses eine Mal», flehte er zum unsichtbaren, beleidigten Freund. Der Zwerg ist gerührt und gibt ihm das Feuerzeug zurück. Eiligst schlägt er Feuer, spricht seinen Wunsch aus, und schon ist die rettende Arznei da. Augenblicklich  geht es seiner Frau besser.

Nach Jahr und Tag kam eine bittere Geldnot über das Ehepaar. Lange litten sich beide. Der Trübsinn trieb den Mann soweit, dass er sein Schicksal verwünschte.

Ei, das Feuerzeug! Hättest sehen sollen, wie seine Hand fieberhaft in die Tasche fuhr. Aber so rasch, wie ein Blitz durch die dunkle Nacht zuckt, so rasch wechselten in des Mannes Gesicht aufleuchtende Freude mit dem Ausdruck des grössten Schmerzes.

Das Feuerzeug ist, wie schon einmal, verschwunden, und all sein Bitten ist diesmal vergeblich. Vielleicht lässt das Erdmännlein sich durch das Flehen seiner Frau erweichen. Der Mann vertraut ihr das Geheimnis an. Und wahrhaftig, ihren rührenden Bitten konnte das Männlein nicht widerstehen. Das Feuerzeug kehrte unsichtbar wieder in des Mannes Tasche zurück.

Vor dem Gebrauch hatte er der Frau eingeschärft, sich ja nicht umzuschauen, wenn sie die geheimnisvolle Stimme hinter ihr vernehme, sonst sei alles verloren. Aber wie es darauf ankam, hatte sie es vergessen, oder sie konnte ihre Neugierde nicht meistern. Der Mann, der das bemerkte, fasste rasch ihren Kopf und hielt ihn so lange fest, bis sie ihren Wunsch ausgesprochen hatten.

Der unsichtbare Helfer in der Not liess nicht lange auf sich warten und stellte den Eheleuten ein grosses silbernes Becken voll Kronentaler hin. Damit konnten sie nicht bloss ihre Schulden bezahlen, sondern waren mit einem Schlag reiche Leute und lebten noch manches Jahr glücklich zusammen.

 

Emmentaler Sagen, Hermann Wahlen, 1962 Gute Schriften Bern
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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