Der Besenreisser-Anton am Grenchnerberge

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Oft hört man in gewissen Nächten von der Egg her und über den lang gestreckten Grenchner Berg hin ein schauerliches Schreien, Weherufen und Stöhnen. Bald ist es ein herausforderndes freches Johlen und Gellen, wie es sich die Sennbuben zweier Nachbarsenten entgegen höhnen; bald lautet es, als ob ein Verirrter oben im Hochwalde kläglich um Hülfe riefe, oder als ob er überfallen und niedergeworfen, unter Mörderhänden einen letzten Angstschrei ausstieße; durch alle Stimmen wechselnd trägt es der Nachtwind über die Halden herab. Wohl vernehmen es die Leute in den nächsten Berghöfen, aber sie eilen keineswegs zum Beistände hin; sie bekreuzen sich, sie murmeln schnell den englischen Gruß. Der Toni schreit wieder im Unterholze, heißt es, der Beserîsz- Dönnel hünet! Man läßt die Fällladen über die Fenster herab, löscht das Feuer am Herde, schaut nach im Stalle, ob die geweihten Osterpalmen noch hinter der Türe stecken, dann kann man sich dem Schutze der lieben Heiligen empfehlen und zu Bette gehen. Allein droben auf der Egg läuft das nicht so kurz ab.

Als ob der hundertjährige Wald auf einen Streich gefällt liegen müßte, kracht es da in den Tannen. Mit vollen Donnerschlägen kommt ein Sturm aus den Schluchten des Senkloches gegen den Sennhof herüber gefahren. Ihm voraus springt und tanzt ein Rudel von Lichtern, groß und klein durch einander schwärmend. Dann wachsen sie zusammen zu klumpenhaften Büscheln und Feuerkugeln, die wie aus einem Geschütz auf einander losschmettern. Mitten unter ihrem feurigen Hagel schreitet der verwünschte Sennengeist einher, der böse Dönnel. Von allen Seiten grell beleuchtet, ist er nach Gestalt und Tracht vollkommen kenntlich. Sein struppiger Langbart ist rot und reicht bis auf den Gürtel. Er hat ein Küherkleid an, eine ärmellose Jacke mit rotem Vorstoß. In seiner Hand lodert eine Kienfackel und auf beiden Schultern schleppt er den halben Leib einer frischgeschlachteten Kuh. So stürmt er auf den ersten Viehstall los, der auf der Oberweide, entfernt vom Sennhaus gelegen ist. Alle Rinder fahren auf von der Streu und erheben ein klägliches Gebrülle. Aber er kann sie nicht aus dem Stalle reißen, der schwarze Ziegenbock drinnen verwehrt ihm den Eintritt. Doch wirft er alle Schindeln und Beschwersteine vom Dache, und fort gehts der nächsten Schirmtanne zu. Sie steht frei an einer senkrechten Felswand und läßt ihre Äste, wie breite Tatzen voll langhaariger Moosgespinnste, tief hinein in die Klippen fallen. Hier besinnt er sich, daß er die beste Weidekuh nicht mitgenommen habe, um sie an die Tannenäste zum Schlachten aufzuhängen; also fährt er mit seiner halben auf der Schulter hinab ins Sennenhaus. Hier hat er seine alten Wege, die er sich durch keine geweihten Mittel streitig machen läßt. Sobald er vor der Türe steht, nützt kein Riegel mehr; alles, sogar das kleine Schiebfenster, fährt dann von selber auf. Er wirft die Fackel weg, daß die Funken sprühen, und steht in der untern Stube. Dies ist das größte Gemach im Hause, Feuerstatt, Kochherd, Eßtisch und Ehebett sind hier in einem Raume beisammen; ein Teil des Bodens ist gebrettert und führt zugleich in den Keller; ein Teil hat Steinpflasterung. Durch die Stubendecke geht die Stiege hinauf ins Obergaden, das Schlupfloch mit dem beweglichen Laden steht offen, denn droben schläft das Gesinde. Jetzt kommt er gegen das Bette des Meisters her gegangen; man hört die daumendicken Eisennägel seiner Holzschuhe auf dem Boden knirschen, als ob es über Felsklippen ginge. Mächtig greift er über das Bette hinüber. Die Meistersfrau hält sich stille; man weiss schon, was er will und kann ihn nicht daran hindern. Er reisst an der grossen Wandglocke am Bette mit solcher Gewalt, dass Knecht und Magd erschreckt auffahren und aus dem Obergadem herunter klettern wollen, als wärs längst Morgenzeit. Aber schon vor dem Schlupfloche kehren sie wieder um, denn sie hören die furchtbare Wirtschaft des Tönni. Eben schickt er sich an, den Kessitanz zu spielen. Zu diesem Zweck dreht er den Herdbakten herum und hängt in dessen Haken den grossen kupfernen Wellkessel. Dieser fasst ein paar Eimer Milch, man macht in ihm Käse von Zentnerschwere. Er hebt den Kessischild ab und setzt sich rechter Hand zu seinem Instrumente nieder. Mit einem beweglichen Drahtgeflechte, welches panzerartig geflochten ist und daher Harischbletz heisst, beginnt er den Kessel vom Grund bis zum Rand zu fegen und zu scheuern. Da wird ihm der Käsekessel zur dröhnenden Kesselpauke, kunstgerecht schlägt er darauf die Takte eines Sennentanzes, immer schneller, immer lauter und schmetternder, daß das an den Wänden aufgehängte Menzeug, die Bund- und Dickketten, die Kuh- und Roßschellen, mit schwingt, mitklirrt und läutet. Diese Musik hat er bis jetzt mit der rechten Hand gespielt, nun braucht er noch die linke. Denn zur andern Seite steht ihm das Ankendrehfaß. Dies ist ein geschloßner Kübel in Radform, welcher innerhalb einer an die Wand gelehnten Leiter befestigt ist und beim Buttern mittelst einer Handwelle umgedreht wird. Im Innern des Kübels sind um seine Achse herum Holzflügel mit Rinnlöchern angebracht, zwischen denen sich die umgeschwungene Milch zu Rahm ballt, außen am Breitrande ist ein Schiebriegel, um Butter und Buttermilch heraus nehmen zu können. Man hat heute ansgebuttert und das Gefäß ist jetzt also leer. Er beginnt nun dieses zugleich mit der Linken heftig umzuschwingen, und im offnen Spundloche des hohlen Rades fängt sich die Luft, daß es umwirbelud summt uud brummt und knarrt wie eine gigantische Baßgeige. Jetzt tut der Tanz seine Wirkung, Lebloses und Lebendiges kommt in Bewegung, nichts kann diesem „Liren- oder Trüllbudertanze" widerstehen. Frischgewaschen und geputzt sind des Abends die Eß- und Trinkgeschirre hinter die Holzleisten an der Stubenwand ausgesteckt worden; aber in einer Reihe fallen jetzt die Stielnapfe und Hakenkellen vom Nagel, alle die Gönli, die Schufen, die Bollen, die Eßgepsli und Freßmütteli. Wohlgeordnet stehen die Kübel und Fäßchen um den Herd, damit man Morgen beim Käsen Milch, Ziger und Schotten in sie verteile; nun stürzen sie um und kollern wild durcheinander, die Zigertrimmen, Melkteren, Taußlein, Bennen, Brenten und Bückten. Im Keller unten liegen die frischen Käse in ihren beweglichen Holzringen zum Formen und Abtrocknen. Nun zerplatzt eine jede Käsejarbe und läßt den Käselaib von der saubern Bank auf den modrigen Kellerboden hinab springen. Unter dem Dache droben auf der Bühne liegt der Kühbube auf seinem ärmlichen Laubsacke, das allerkleinste Knechtlein. Auch das darf nicht länger unter der Schnetzeldecke warm haben und wird kläglich herunter geschmissen. Wenn alle Balken krachen und wanken, so .werden auch die Kühe im Stalle toll und die Schweine im Koben wollen ausbrechen. Zu zweit und dritt verwickeln sich die Rinder in das gleiche Barrenseil und drohen sich zu erwürgen, wenn man sie nicht eilig wieder losschneiden kann. Aber wer hat das Herz, unter diesem Schrecken den Platz zu verlassen. Doch der Meister und seine Frau greifen zum letzten Mittel, das ist das Stoßgebetlein: „Alle Seligen lobpreisen Gott im Himmel". Alsdann brüllt auf des Dönnel Schulter die halbe Kuh dreimal laut auf, es schweigt der Aufruhr, der Unhold ist verschwunden. 

„Seht, das ist Gottes Gericht“, spricht dann der Bauer zu seinem Gesinde. „Das alles hat der Tönnel damals verschuldet, als er noch unser Gemeinde-Senne gewesen war hier auf der Egg. Da hat er die Milchwage verfälscht und die Kerbhölzer, daß er uns nur den halben Milchertrag unsrer Herde auszumessen brauchte; da hat er uns Käse, Ziger und Anken für ganze Jahre abgestohlen, daß wir Grenchner immer ärmer wurden und er ein reicher Mann. Doch auch sein Maß ist voll geworden, denn wie er uns getan, so taten es ihm die Dirnen, mit denen er hauste. Als Alles verschwelgt und vergeudet war, trieb ihn seine schwarze Seele zum Hof hinaus und er richtete sich selbst – Gott behüt uns! — an jener Schirmtanne. (Gottfried Schenker von Dänikon, Kant. Soloth.) 

Sage  aus Grenchen, Solothurn

Band 3.1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Naturmythen, Neue Schweizer Sagen, Leipzig 1962

Ausschnitte aus dem 2. Kapitel, S. 49-52

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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