Der Züriheiri von Zurzach

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Vor manchem Jahrhundert kam einmal ein armer Knabe aus dem Zürcherlande her nach Zurzach gelaufen und bettelte vor dem Wirtshause zum Ochsen. Dem Wirt gefiel der Knabe und er nahm ihn probeweise als Stallbuben an. Da nannte man ihn den Züriheiri, wie man auswärts jeden Zürichbieter schlechtweg zu nennen pflegt. Er liess sich gut an, wurde allmählich Hausknecht, verdiente sich bei der grossen Einkehr, welche die Zurzacher Messen damals mit sich brachten, viel Geld und konnte sich endlich aus seinem Ersparten ein Haus kaufen und die Handelschaft beginnen. Allein von nun an verschlang die Habsucht in ihm alle sonstigen Neigungen, mit Ausnahme einer einzigen; diese bestand in der getreuen Freundschaft zum Sohne des Ochsenwirtes, mit dem er aufgewachsen war. Und auch dann noch, als dieser endlich Bürgermeister im Orte geworden war, hörte dieses Bündnis nicht auf; aber es sollte bald auf eine sehr harte Probe gesetzt werden. Der Züriheiri, der nicht bloss in Handel und Wandel seiner Habsucht nachlebte, sondern auch in seinem häuslichen Wesen aufs Allergeizigste sparte, sah mit tiefem Ärger, wie alljährlich jedem geringsten Ortsbürger Zurzachs das Gabenholz unentgeltlich aus den Gemeindewaldungen verabreicht wurde und wie nur er, der Ortsfremde und Ausbürger, leer dabei ausgehen musste. Schon aus Trotz mochte er dann dem Nachbar das Holz nicht abkaufen. Er stahl sich's also bei Nacht und schlug es herkömmlich in jenem Teile des Zurzacherbannes, welcher Grüt heisst. Der Schaden war schon lange bemerkt worden, der Bannwart wurde zu schärferer Aufsicht angehalten. Allein die faulen Wächter mochten nicht nächtelang im Walde lauern; da sie aber an jener Stelle des Grüt, wo der Züriheiri seine Stauden zu hauen fortfuhr, ein beständiges Knistern und Brechen der Zweige hörten, so war es ihnen sehr bequem das Märchen zu ersinnen und selbst dran zu glauben, es hause hier im Grüt ein Geist. Wenn dann der Holzfrevler mit seiner Last Reiswellen schnaufend und keuchend auf dem nächtlichen Schlichwege an ihnen vorbeikam, konnten ihn die lahmen Leute freilich nicht sehen, aber je deutlicher sie ihn schnaufen hörten, um so mehr verbreitete sich diese Spukgeschichte. Da hatte nun einmal der Bürgermeister, jener Sohn des alten Ochsenwirtes, spät nachts vom Dorfe Tegerfelden nach Zurzach heimzugehen, und sein Weg führte ihn durchs Grüt. Hier war der Holzfrevler wiederum daran, beim hellen Mondschein seine Reiswellen zu hauen und zu binden; aber sein Schnaufen und Husten, das Knicken und Knistern der Äste hielt den Bürgermeister nicht zurück, er trat ins Dickicht hinein und erkannte auf den ersten Blick seinen Freund. „Wart, Züriheiri“, sprach er entrüstet, „der Rat wird dich lehren!“, und damit wollte er seines Weges weiter. Aber der Ertappte griff blindlings nach seinem Hag-Gertel (Faschinenmesser), rannte dem Bürgermeister nach und hieb ihm die krumme Spitze ins Genick. Der Getroffene konnte nur noch sagen, „o wie übel hast du getan, ich hätte dich nicht verzeigt!“ dann starb er. Darüber erwachte im Mörder alle Liebe plötzlich wieder; er warf den blutigen Gertel weit weg, stürzte sich heulend nieder, wälzte sich auf der Erde und wollte verzweifeln. Dann aber kam die Angst über ihn, er zog die Leiche ins Gebüsch und vergrub sie unter dem Laub, dann entfloh er. Auf Umwegen erreichte er noch bei Nacht sein Haus und hielt sich seitdem eingeschlossen. Allein die Leiche war bald aufgefunden nebst dem blutigen Gertel in ihrer Nähe, und diesen erkannten alle sogleich als den des Züriheiri. Vergebens waren nun alle Schwüre und Eide, zu denen der Angeschuldigte sich vor dem Blutgerichte erbot; der Richter zog eine schwarze Decke von der Tafel und befahl ihm seine drei Schwörfinger in die Wunde des Leichnams zu legen, der hier plötzlich enthüllt war. Mit wankenden Knieen versuchte es der Angeschuldigte, da sprang ihm aus der Leiche ein Blutstrahl ins Gesicht und bedeckte ihn so lange, bis man ihn von dem Ermordeten hinweggebracht hatte. „Der Allwissende hat gerichtet!“, riefen die Richter, und der Ueberwiesene sprach, „ja, das hat er.“ Auf derselben Stelle des Grüt, wo die Tat geschah, erlitt er dann den Tod und wurde verscharrt. Noch jetzt sehn ihn dort die Holzhauer auf Reiswellen reiten.

E. L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 2, Aarau 1856

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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