Wagen des W. Heeres

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Höhere Gottheiten werden fahrend gedacht; auch ihr Reiten denkt sich unsere Mundart immer noch als eine blosse Fahrt, wie die ältere Sprache den zwei- und vierspännigen Wagen reita, den Fuhrmann reitweko nannte. Anton, Gesch. der Landwirthsch. 1, 425.

Der dänische Othin unterweist seinen Liebling, den König Harald Hildetand in den Kriegskünsten und wird sein Wagenlenker in der Bravallaschlacht. Auch Gott Thôrr hat den Beinamen vom Wagen, auf dem er fährt, und heisst Reidhar-tyr, Rhedings- oder Wagengott. Grimm, Myth. 147, 306, 178.

Fahr zum Odin! ist eine noch geltende Verwünschungsformel: Geijer, Schwed. Gesch. 1, 110. Nun haut sich der Alte mit der Art ein Rad, gilt im Ditmarschen vom grollenden Donner: Müllenhoff, Schlesw.-Holst. Sag., No. 840. Schlofts, Kinda, da schwari woag'n wird glei vabei foarn, sagen die Mütter um österreichisch Pressburg zu den Kindern, die nicht friedlich einschlafen wollen. Wolf, Ztschr. 2, 193. In unserer spielenden Rede sagt man beim Gewitter, der Herrgott fahrt spazieren.

In der älteren Anschauung des mythischen Zeitalters sowohl, wie in der noch dauernden Ausdrucksweise der Sage und der Volksrede wird der Götterwagen als ein zweimal vorhandener unterschieden. Der eine fährt und bleibt zugleich am Himmel, der andere fährt nur auf der Erde oder durch unsere Luft. Der eine Himmelswagen des Gottes ist das Sternbild des Bären und heisst bei uns Hêrewagen, Cherwagen; er dreht sich Nachts mit grossem Geräusche um, sein Tiefer- und Höher-stehen deutet man auf Wohlfeile oder Teuerung der Lebensmittel. Scheuchzer, Schweiz. Natur-Gesch. 1, 245 spricht von einer Windsbraut am Hörrwagen; in den Niederlanden heisst das Gestirn selbst Woenswagen, Wodanswagen. Rebmann, Gespräch zwischen Niesen und Stockhorn (Bern 1620) beschreibt das Gestirn pag. 30 also:
bei diesem steht der grosse Ber,
der gross Heerwagen gnennet er,
Sein sternen seind also gestalt,
gleich er Ross, Wagen, Reutter halt.

Dies ist der Wagen der Seligkeit, des Glückes und der Freude. Tacitus weiss Germ. 40, dass wenn derselbe durchs Land fährt, der Gottesfrieden überall herrsche. Dasselbe weiss auch die Noveleser Chronik zu sagen von jenem großen Leiterwagen ihres Klosters, der Ton seiner Schellenstange bringt Ruhe und den Stillstand aller Geschäfte und Fehden im Lande hervor. (Latein. Gedichte des X. und XI. Jh., pag. 107). Und wie man nach dem einst von Kühen gezogenen Wagen der Gottheit die Milchstrasse noch auf Baltrum Waogenpat, das Wagengeleise nennt, im Gröningerlande aber Kaupat (Kuhweg), und wie für den Namen Wodan zugleich eine Göttin eintritt, die nach diesem Wagen benannte Frû Waogen (Kuhn, nordd. Sag. pag. 457, 519), ebenso gilt auch am Schaffhauser Rheinfall noch die Tradition, ein Wagen mit Rindern bespannt, soll dreimal die Stadt umfahren haben, bald auf der Erde, bald in der Luft, und durch seine Richtung nach Rechts Gutes, durch seine Linkswendung Böses verkündet haben. Kohlrusch, Schweiz. Sagen-B. 1, 341.

Wir können den Glauben an diesen Gotteswagen noch bis in unsere Zeit verfolgen. Der politische Brauch hat in den oberitalienischen Städten den Carroccio oder Fahnenwagen daraus gemacht; der kirchliche Brauch hat ihn in einen Prozessionswagen verwandelt, wie derjenige, genannt la Barra, zu Messina und Palermo ist an Maria Himmelfahrt, der lebende Kinder auf seiner höchsten Mondscheibe trägt. Beim Frühlingsumgang singen unsere eigenen Landeskinder noch von diesem (Simrock, KindB., No. 487): Wir wünschen dem Herrn einen goldenen Wagen, damit soll er ins Himmelreich fahren. Das schles. Christkindlein sagt in den Häusern bei seiner Bescheerung:
Geh hinaus zu meinem Ross und Wagen
Und hol herein die Gottesgaben.
Wir haben draussen stehn einen schönen Wagen,
Der ist mit lauter Gold und Silber beschlagen.

Weinhold, Weihnacht-Sp. 36, 38, 40. Dieser Geisterwagen ist, wenn er durch die Stadt Freiburg fährt, vierspännig und so angefüllt mit Leuten, dass manche nur noch auf der Langwied Platz finden. Baader, bad. Sag., No. 56. Aus seinem Innern tönt eine wunderschöne Musik: Stöber, elsass. Sag., No. 206. Ohne dass man ein Rad hört oder ein Radgleis sieht, fährt er unter lieblicher Musik die Kreuzberger Nonnen mit Schimmeln und Rappen dreimal um den Marktplatz. Bechstein, DSagb., No. 252. Eine gläserne Kutsche und eine kleine goldene liegt unterirdisch: Bechstein, Thüring. Sag. 2, pag. 124, 150; aber dem Teufel zerbricht die gläserne Kutsche bei Bielefeld: Firmenich 1, 274 b. Eine Kristallkutsche fährt am Römerweg: Stöber, elsass. Sag., No. 119 (Romweg heisst uns die Milchstrasse). Ein Triumphwagen geht über die Tuchelhaide: Tettau-Temme, preuss. Sag., No. 190. Unter dem Kloster Eldena steht die Christnachtskutsche, ibid. No. 237.

Der Wagen der Verdammniss entwickelt sich nothwendig aus diesem Götterwagen. Der Gothe Athanarich (gest. 382) liess auf ihm des Gottes Bildsäule an den Häusern der Christen umher fahren, um diese unter die Räder zum Zermalmen werfen zu lassen. Geilers von Keisersberg Ameise (Strassburg bei Grüninger 1517) hat auf dem Titelblatte zum „Wütischen Heer“, Bl. 38, die Abbildung eines grossen Leiterwagens, in welchem ein Mann auf dem Kopfe steht. Auch in dem Todtentanz von C. und R. Meyer (Zürich 1650) fährt, Bl. 53, der Todesgott in einem Wagen, zwei Hirsche vorgespannt, dem Walde zu.

Geiler scheint noch beiderlei Wagen unterscheiden zu wollen. Er äussert über den einen in der Predigt Der hellisch Löw (Strassb. bei Schürer): bey dem karren oder wagen so verstat man das her, da David spricht im psalter: der karr gottes ist zehentausent manigfaltig. Im übrigen aber redet er mehr von demjenigen der Verdammniss: Die zyehendt hye einen karren der vnruow vnd dört einen wagen der ewigen verdamnüss. Seel-Paradies Bl. 210 b. Alle Menschen vol lasteren die werden innen des musters der hellen, das ist denn der wagen. Bl. 231. Gleiches äußert Cyriac. Spangenberg im Ehespiegel (Strassb. 1578) pag.13, und unsere Volksrede sagt von einem grundschlechten Menschen, er sei „dem Tüfel ab dem Charre g'heit.“ Daraus wird der in den Sagen so oft genannte Hellwagen (vgl. Kuhn, nordd. Sag. No. 199), der rappenbespannte Wagen Kölns, der in den Gürzenich fährt (Weyden, Kölns Vorzeit 207), der dreirädrige mit einem Siebengespann (also entsprechend dem Vorbilde des Siebengestirnes: Schöppner, bayr. Sag. 1, pag. 315, No. 384).

Dieser Wagen fahrt oft einem bestimmten Wirthshause zu: Schnezler, bad. Sagb. 2, 205; oder er wird ohne Deichsel an der Ortskirche herum geschoben: ibid. 2, 694. Oft ist es nur ein einzelnes Rad, welches feurig bergan läuft (Panzer, bayr. Sag. 1, No. 36); oft ist dieses Feuerrad ein Höhlengeist, wie der Osnabrügger-Alte, der zu Ross bekämpft werden muss (Viehoff, Archiv für neue Sprachen 1851, 117); oft find es grosse vierrädrige Wagen (Harry, ndsächs. Sag. 1, No. 52. Schambach-Müller, ndsächs. Sag. No. 82); oder es ist ein ganz kleiner eisengeschmiedeter ex voto-Wagen, wie er in der Kirche zu Pielenhofen aufbewahrt wird (Panzer 1, No. 140). Oder endlich der Wagen ist zerbrochen, und Frau Perchta verlangt, dass ein Begegnender ihr den Wagen verkeile, die Wagendeichsel verpflöcke (Börner, Orlagau-Sag. 173. 182).

Am häufigsten denkt man sich nun noch blosse Kutschen. Statt der beinahe zahllosen solcher Art nenne ich eine aus meiner Nachbarschaft. Auf der Hexenwiese zu Prattelen, Kant. Baselland, zeigt sich eine schwarze leere Kutsche, die gewöhnlich als Vorbote eines Todesfalls erscheint; hört man aber nur ihr Gerassel, so bedeutet's schlechtes Wetter. Kohlrusch, schweiz. Sagb. 1, 375. Man bemerkt also, dass sich Witterungsbeobachtungen noch zuletzt an die Sage vom Wagen anknüpfen, wie sie selber ursprünglich zusammenfällt mit der Beobachtung des Sternenlaufes und Sterneneinflusses. Diesen Zusammenhang hatte Klopstocks liebevolle Versenkung in unser ihm noch unaufgeschlossenes Alterthum voraus geahnt; im Bardiet seiner Hermannsschlacht verkörpert er nämlich den diesem Cultus vom Götterwagen innewohnenden Begriff in folgendes Gleichniss:
Die Räder an dem Kriegeswagen Wodans
Rauschen, wie des Waldes Ströme die Gebirg' herab.

In diesem Sinne erzählt man auch vom Schimmelritter zu Liestal (Abthl. VIII, No. 344), seine Stimme gleiche der gedämpften Sprache vieler versammelter Männer, oder dem Wasserrauschen über hohe Felsenwände.

Band 1, Quelle: Ernst L. Rochholz, Schweizer Sagen aus dem Aargau, Band 1 Aarau, 1856, Seite 215

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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