Fürcht dich nicht, so geschieht dir nichts!

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf einem Stafel der Alp Winteregg verschwanden einst einzelne Kühe und Älpler; man wusste nicht, wohin sie geraten waren. Dann kam es so weit, dass weder Vieh noch Sennen ins Tal zurückkehrten. Nachdem die Bauern manchmal nutzlos angesetzt, getrauten sie sich nicht mehr, auf diesen verrufenen Stafel zu Berg zu fahren, das kann man sich ja denken.

Es hiess, da oben unter dem Schwarzbirg treibe ein kohlerdenschwarzer Mann, ein wüster Gast, sein Unwesen. Dieser habe eine braune Kuh, die so gewaltig viel Milch gebe, dass kein Senn im Lande imstande sei, sie in einer Stunde auszumelken, und wer den Versuch erfolglos wage, der werde zu Tode gequält.

Dann kam einmal, nachdem dieser Teil der Alp schon ein Häuflein von Jahren brach gelegen, ein grosser, junger, starker Bursche und wollte die Probe bestehen. Zuerst schlugen die Bauern ihm rundament alles ab. Der aber gab nicht auf und sagte, sie sollten ihn nur ziehen lassen, er fürchte sich ganz und gar nicht, dem alten Choldri da oben wolle er schon die Löti auftun; sie sollen ihm soviel Kühe, wie die Alp geseiet (besatzberechtigt) zur Verfügung stellen, mit Schiff und Geschirr und Geläut und allem, was zu einer guten Sennerei gehöre. Schliesslich wurden die Berganteilhaber zur Einung zusammengerufen und rätig, noch einmal hinauf zu stossen.

Der junge Bursche wollte voraus gehen und verlangte, dass ihm das Gvicht (Vieh) nachgejagt werde. Er nahm Brot auf den Leib; tut einer das, hat kein Geist Gewalt über ihn, denn Brot ist heilige Speise. Als sie zum Türli kamen, stand da ein grosser, schwarzer Mann daneben. Aber der Jungsenn erschrak im mindesten und geringsten nicht. Er redete ihn barsch an, ohne Chlupf noch eines und anderes und namste den schwarzen Möhr grad Chohler. Als die hinter der Herde das Spiel sahen, klopften sie die Finken. Der Älpler ging zur Hütte, stellte sein Bürdeli ab, den Sträfzgelstecken (Stock mit Eisenspitze) an die Wand und richtete sich drinnen ein. Der Schwarze war immer da und trappete ihm nach auf Schritt und Tritt. Wie er all seine Geschäfte gereiset hatte, war die Melkzeit da, und er wollte seine Kühe stallen. Aber dann brachte er keine in den Stall, weil der Schwarze darin war. Da ging der Senn hinein und wies ohne Federlesen den Geist hinaus: "Soo — vor der Tür ist draussen, weisst du denn nicht, dass sie wegen dir nicht hinein dürfen?" Nun half ihm der Schwarze das Vieh eintreiben, aber da sprangen immer zwei miteinander zum Türloch ein und blieben darin stecken. Dann hat der Jungsenn ihn barsch zur Red gestellt: "Potz — Kreuzmillion — so geht das nicht !" Darauf ging schön eine für eine hinein und kehrte der Barni (Krippe) zu. Als der Älpler zu melken begann, da stand am ersten Platz nicht eine von den seinen, sondern die Braune. Die hatte ein gepresstes Euter, das anzufühlen war wie ein rundgewälzter Schopf (grosser Stein) aus der Lütschine. Das floss — floss und floss in weissem Strahl — puschumm — puschumm— puschumm — Melchter um Melchter — im Milchgaden waren bald alle Gebsen voll. Während der Arbeit stellte der Schwarze unnütze Fragen, um ihn aufzuhalten, bekam aber keine Antwort. Dann stiess der Ungast die Kuh in die Flanken, dass sie nie stille stand, und schliesslich wollte der Wüste den Melker zwischen Tier und Wand erdrücken. Der aber stand vom Einbein auf und herrschte ihn unwirsch an: "Chohler, lass das Unvernünftige in Ruh!" Im Augenblick waren die Teufeleien zu nichts geworden und die Kuh ausgemolken bei Tropf und Tran. Nach der Arbeit half ihm der Schwarze das Gvicht aus dem Stall treiben, ganz wie es sich gehört. Deshalb lud er ihn zum Nachtessen ein, wer werkt, darf ja essen auch. Der Unheimliche ass und trank, aber weder Speis noch Tranksame schwanden nicht um das, was einen Fingerhut füllt. Nun machte der Jungsenn, wie üblich und bräuchlich, noch ein Pfeifchen Tabak ein und setzte sich neben die Feuergrube. Der schwarze  Choldri sass stumm neben ihm, und als der Schweiger sagte, jetzt sei es Zeit, auf das Gelieger zu gehn und sich hinten ins Stübli legte, da streckte sich der Schwarze auch schon neben ihm. A.. aber — der war kalt wie ein Eiszapfen, an dem konnte er sich auf Ehr und Wahrheit nicht wärmen.

Sobald es gegen Mitti Nacht rückte, da ging der Finstere auf und sagte: "Senn, steh auf, du musst mir helfen gehn!" Der Senn darauf: "Nein, hier auf dem Laubsack ist mir wohl genug!" Dann ergriff der Schwarze das Bett an einem Stollen, schüttelte es, dass der darin zwirbelte wie der Härdöpfel in einem leeren Körbli. Jetzt sagte der wüste Gast zum andernmal: "Geh nun auf!" Sprach der Junge: "Mir gefällt es hier im warmen Guutschi gut genug!" Da schleifte der Arge die Bettstatt samt Laubsack mit Händen, die glühten wie ein Lötkolben, mitten in das Stübli und wirbelte sie ringsum — es ging wie heute auf dem Rösslispiel, nur schier ein bisschen schneller. Dann sprach der Schwarz: "Chüejer — fürchtest du dich nicht?" Der darnach: "Mir geht es, je länger desto schöner!"

Der Geist zum drittenmal: "Soo — jetzt brauch ich dich nicht mehr, steh beileib nicht auf, tu deiner Faulheit Rat, sonst dreh ich dir den Grind um!"

Nun stand der Jungsenn justament grad auf und machte Licht. Da war der Dunkle neben dem Käskessi, befahl ihm barsch, Pickel und Schaufel zu nehmen und ihm zu folgen. Sprach der Älpler: Ich nehme weder Pickel noch Schaufel, nimm sie selber, zünden will ich dir." Dann gingen sie selbander hinein ins Milchgaden und hier befahl der böse Geist von Winteregg, er solle graben mitten zwischen den vier Wänden.  Der starke Senn, der wich um kein Haar ab von seinem festgefassten Vorsatz und sagte lässig: "Tu selber, zünden will ich dir!" Dann grub der Geist mit wuchtigen Pickelschlägen und aufs Mal kam er auf eine grosse Steinplatte und verlangte wieder des Jungsennen Handreichi. Ruhig bis ins Mark sagte der: "Ich habe nicht geholfen, sie hinuntertun und helfe nicht, sie herauf zu lüpfen, mach selber, zünden will ich dir!" Dann hob sie der Schwarze — aaber — die flog räss herauf! Darunter kam ein Käskessi, so gross wie es der stärkste Älpler kaum zu tragen vermocht hätte, ebenbördig voll Gold zum Vorschein. Dann sprach er den Sennen an, ihm die schwere Last herauflüpfen zu helfen, aber trotz des blinkenden Schatzes bekam er den gleichen Bescheid wie vorher: "Tu selber, zünden will ich dir!"

Dann hob er selber die Last — dass Funken stoben! Nachher schüttete er neben dem Loch im Milchgaden die goldenen Vögel aus, machte daraus drei Haufen und sprach den Älpler wieder an: "Der erste gehört den Leuten, die vor Jahren das Vieh verloren hier oben, den andern, den kannst du nehmen, und den dritten, den behalte ich!"

Da stand ihm der Herzhafte Red: „Der erste, der gehört den Leuten, wie du verfügt, den zweite,  den habe ich verdient, und den dritten, den nehm ich auch grad noch und verteil ihn unter die Armen, denn du, du hast keinen mehr nötig!"

Damit hatte der standhafte Hirt den schwarzen Mann auf Winteregg erlöst. Alle drei Stafel der sonnigen Alp waren fürderhin frei und frank.

Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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