Ein Zwerg als Knecht

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im hintern Grund hatte ein Bauer einen guten Knecht. Der behandelte alles Rindvieh und selbst das arge Geissenvolk niemals grobjänisch, denn er war einer aus dem Zwergenvolk. Der Bauer hatte, wie es früher üblich war, Wiesland und Gehälter im Tal und auf den Höhen. Je nach Schneelage und Jahreszeit zügelte man zu Berg oder zu Tal.

"Wen die Taga lengen, tuod der Winter strengen", sagen die Leute in Mürren oben, dem höchsten Dorf im weiten Bernerland. Wie oft schon ist es hier vorgekommen, dass der Märzenschnee im ausgeschorten Känel vom Stall zum Treichitrog den Kühen ans Rist reichte! Deshalb fuhren die im Grund ansässigen Bauern mit ihrer Habe zu Tal, wenn man noch Weg und Steg brauchen konnte und Föhn und Märzenlaunen nicht drohend darüber geboten.

Einmal, zu Lichtmess, (2. Februar)hatte der Knecht oben noch lange nicht das halbe Heu verhirtet. Aber zu Oculi (3. Fastensonntag), da drängte der Bauer darauf, bald zu Tal zu zügeln; denn er hatte Sorge, es könnte ihm bei Tauwetter im kranken Schnee ein Haupt erfallen oder in die Laui kommen. In diesem Winter war ihm der zehnte Bub angestanden; darum bekam er nun wohl das Salz umsonst, aber mit einem Löffel mehr am Tisch war es gewiss nicht gemacht; es musste einer mit dreizehnköpfigem Haushalt zu seinem Sacheli schauen.

Der gute Knecht hatte gesagt, mit dem ganzen Zügel solle der Meister nichts zu tun haben, weder Stupf noch Kritz, er allein werde am rechten Tag, zur rechten Zeit und Stunde, ohne dass ein einziges Haupt Schaden nehme, das ganze Gewerb zu Tale führen. Aber wenn er niederfahre, solle niemand Angst zeigen, vor allen Dingen keines von den Tieren bei seinem Namen rufen. Der Bergbauer legte nun vertrauensvoll alles in die schaffenden Hände des Guten, das war ja einer von der rechten Ader, er hatte mit ihm noch nie etwas Ungerades gehabt. Er selber ging in den Grund und lag dem Fällen des Holzes ob.

Nun war aber am Sonntag, der kam, schon Laetare, (dritter Sonntag vor Ostern) und das Männlein wollte und wollte nicht kommen. Am Montag drauf aber schauten die Holzer im Lengwald unten lang an die Mürrenfluh hinauf.

Man hörte oben Kuhglocken und Plumpen, (grosse Treicheln) Kälbertreicheln und Geissenrölli ineinander läuten und klingeln. Da kam — sie trauten ihren Augen kaum — der Zwergenknecht mit der ganzen Habe — gross und klein, wie es der Hirt zum Tor hinausjagt, auf dem vordersten Rand der mit Eiszapfen behangenen Balmen gegen Gimmelwald herunter.

Dem Meister gerann das Blut in den Adern. Er liess das Beil fallen, vergass die Mahnung des kleinen Hirten und rief in jähem Schrecken: "Um Gottes Willen — meine gute Luschta!"

Der Name war kaum gefallen, da stürzte die mälche Treichelkuh, wie vom Strahl getroffen, vielhundert Fuss tief hinunter in das Gufer. Alles andere tat keinen Misstritt, kam gesund und recht unten an, keinem war ein Haar gekrümmt noch ein Nerv entschirret worden. Wäre der Bauer dem Rat des Erdmännleins gefolgt, es hätte auch der roten Leitkuh nichts getan.

Quelle: Hans Michel, Ein Kratten voll Lauterbrunner Sagen. Wengen 1936.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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