Das Toggiloch

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

In einer kleinen, brandschwarzen Hütte in der Nähe des Langer Mansie hauste ein krummes steinaltes Weib. Es hatte den Kopf in einen durchlöcherten Lumpen gewickelt, der unter dem Kinn mit einem mächtigen Knoten zusammengehalten wurde, von dem zwei lange Zipfel herunterhingen. Daraus hervor funkelten zwei feurig rote Äuglein.

Über die linke Schulter hatte es ein Sacktuch geworfen, das hervorstand, so dass das Weib zwei Buckel zu haben schien: einen am Rücken und einen zur Seite.

Es zeigte sich selten; aber wenn es im Oberried erschien, fürchteten sich die Kinder, schrien und liefen zur Mutter.

Dagegen wanderte es des Nachts auf den Bergen herum. Es kannte alle Hütten weit und breit. Und am Tage erzählten sich die Sennen oft schaurige Dinge, wie es vergangene Nacht im Milchgaden gespukt und gespenstet und wie es an der Tür geriegelt habe. 

Und oft fluchte ein Bauer über sein Gras oder die Kuh, wenn er keine Nidel bekommen konnte. Wenn er dennoch haben wollte, musste man bei der alten Hexe am Langer welche holen; denn diese hatte immer.

In einer stockfinstern Nacht wollte nun einst ein Mädchen zu seinen Eltern auf den Langer, die dort oben sömmerten. Es hatte sich im Dorf versäumt und nun den Weg verloren. Es setzte sich auf einen Stein und weinte in sein Nastuch. Auf einmal stand das alte Weib vor ihm, rüttelte es und wollte es heimwärts führen. Es folgte ihr zitternd nach.

Da hörte es die Alte laut rechnen und den Weg beschreiben und Hütten aufzählen. Und dazwischen vernahm es immer:

„Us jedem Hus es Löffeli voll git ändlich doch es Chübeli voll."

Sein Herz wollte fast zerspringen. Schon sah es die Hütte der Eltern, und von dort aus näherte sich eine Laterne. Sie waren oben auf dem Langerhorn. Da blieb die Alte plötzlich stehen, warf das Sacktuch ab und legte den Kübel auf den Boden, den sie darunter am linken Arm getragen hatte. Sie packte das Mädchen, das wie gebannt dastand und keinen Laut von sich geben konnte, und sie schleuderte es lachend in die Tiefe, wo es in drei Stücke zerschmetterte.

Sie humpelte, ein ungelenker Schatten, nach dem Oberlaubhorn, wo sie sich in eine Höhle verkroch, über deren Eingang ein mächtiger Felsblock hervorstand.

Dort muss sie nun, ein Geist, bis in alle Ewigkeit ein armes Dasein fristen und ist im Tale unter dem Namen Toggeli bekannt. Davon hat die Höhle ihre Namen erhalten: Toggiloch.

Wenn ein Gewitter losbrach, suchten oft Heuer und Hirten dort Schirm, und in stürmischen Nächten flohen die Ziegen ins Toggiloch. Aber am Morgen hinkten sie mit leerem Euter davon. Das Toggeli hatte sie gesogen.

Und noch heute sagt man, wenn bei Geissen eine Zitze grösser ist als die andere, das Toggeli habe das Euter gesogen.

Aber nun muss es den Oberriedern durch Gutes vergelten, was es an ihnen verbrochen. Wenn einer etwas verloren hat, sagt er:

„Toggeli, Toggeli, Horemaa,

Gib wer, was i verlöre ha",

und dann wird es von quälender Unruhe umhergetrieben, bis er das Verlorne wieder gefunden hat.

Auf der Bühlersweide am Fusse des Oberlaubhorns sieht man oft in finstern Sommernächten drei Lichtlein hin- und herspringen. Das sind die drei Teile des zerschmetterten Kindes.

 

Quelle: Georg Küffer, Lenker Sagen. Frauenfeld 1916. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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