Die Schatzgräber

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Im Stein ob Alterswil lebte vor alter Zeit ein vornehmer Herr. Er besass soviel an Geld und Gut und Kostbarkeiten, dass er selber nicht wusste, wie reich er war. Doch soll er seinen Reichtum nicht auf ehrlichen Wegen erworben haben. Als der Mann den Tod nahen fühlte, da sinnierte er Tag und Nacht, was er mit seinem Schatze machen wolle. Mitnehmen konnte er ihn nicht. Erben hatte er keine. Ihn den Armen geben, das wollte er nicht, er hatte diese Sorte Leute lebenslang gehasst. Sollte er ihn der Kirche schenken? 0 nein. Er hatte ihr nie etwas darnach gefragt. Also, was sollte er machen? Den Schatz vergraben? Hm! Das wäre wohl das Beste, dann wäre der Zank aus. Niemand wüsste, wieviel er zusammengetragen. Übrigens gehörte das Geld ja ihm, er hatte es erworben und war niemand etwas schuldig. Jawohl, vergraben wollte er seinen Reichtum, vergraben...

In der Mühle unterhalb Stein, da grub er nächtlich im Keller ein tiefes Loch. Darin versenkte er eine grosse, eisenbeschlagene Truhe. Dann trug er alle seine Schätze herbei - Säcklein voller Gold- und Silberstücke, Geschmeide, Perlen und Edelsteine und ordnete alles sorgfältig in den Kasten. Zum letzten Male liess er die Herrlichkeiten, die seine Lebensfreude gewesen, durch die zitternden Finger gleiten. Sein Auge erfreute sich noch einmal an ihrem Glanz, sein Ohr an ihrem Klang. Dann schloss er die Truhe, schaufelte Erde und Steine darauf und trat den Boden fest, damit niemand erkenne, wo sein Schatz ruhe.

Das war die letzte Tat des Geizigen. Sie verschaffte ihm noch eine wohltuende Schadenfreude. Denn immer musste er dabei an die langen Gesichter der Enttäuschten denken, welche nach seinem Tode wie Räuber in sein Eigentum eindringen und dann nur leere Kisten und Kasten finden werden. Kurze Zeit darauf starb der Reiche, und sein Geist ging hinüber in die Ewigkeit, um dort Gott dem Herrn Rechenschaft abzulegen über die Verwaltung der ihm verliehenen Talente. Es wird ihm übel ergangen sein am Tage des Gerichtes; denn er musste wieder auf die Erde zurückkehren und büssen - büssen – wie lange wohl? In der Mühle fing es an zu geistern. Man hörte um Mitternacht stöhnen und jammern. Oft irrte ein Lichtlein im Hause herum und huschte dann in den Keller hinunter. Dann drangen aus der Tiefe der dumpfe Schlag eines Pickels und das Scharren einer Schaufel herauf.

Bald ging es durch alle Leute Mund, der Geizhals „stüje“ in der Mühle. Dort im Keller müsse wohl sein Geld begraben sein. So ein verborgener Schatz hat aber noch zu allen Zeiten die Menschen zu Abenteuern gereizt. Es war auch hier nicht anders.

Zwei Alterswiler fanden sich einst um Mitternacht im Keller der Mühle ein, um den Schatz zu heben. Im Lichte einer Laterne begannen sie zu graben. Bald fing es an hohl zu tönen. Mit doppeltem Eifer arbeiteten sie jetzt weiter. Nach einer Weile kam eine grosse, eisenbeschlagene Kiste zum Vorschein. Mit den Händen räumten sie jetzt vorsichtig die Erde weg. Aber auf einmal wackelte eine grünschillernde Kröte auf dem Deckel der Kiste. Sie wollten das Tier mit der Schaufel entfernen. Doch es war nicht von der Stelle zu bringen. Mit giftgrünen Augen blitzte es die Männer an, blähte sich drohend auf und wurde immer grösser und grösser, bis es zuletzt die ganze Truhe verdeckte. Schauder ergriff die Schatzgräber. Sie liessen alles liegen und rannten wie gehetzt davon. Anderen Tages wagten sie sich wieder in den Keller, um die Werkzeuge zu holen. Da fanden sie das Loch zugemacht und die Erde festgetreten, als ob hier nichts geschehen wäre.

Der Schatz liess den Männern keine Ruhe, und der ausgestandene Schreck war darüber bald vergessen. Sie beschlossen, einen zweiten Versuch zu wagen, aber diesmal vor Beginn der Geisterstunde. Schon gegen neun Uhr nachts fingen sie an zu graben. Bald kam der Deckel der Kiste wieder ans Licht. Die Kröte war nicht da. Das erfüllte sie mit Hoffnung. Rasch lockerten sie die Erde um die Kiste herum auf und schaufelten sie hinaus. Nun stand die ganze Truhe frei da. Sie war sehr gross und schwer und konnte von blosser Hand nicht bewegt werden. Jetzt schnell mit Ketten und Sparren herbei, den Schatz herauszulüpfen. Doch plötzlich war die Kröte wieder da und hüpfte erst langsam, dann immer schneller um die Kiste herum und wurde grösser und grösser. Entsetzt liessen die Schatzgräber alles im Stich und rannten nach Hause. Am nächsten Morgen fanden sie das Loch wieder zugeschüttet und den Kellerboden geglättet.

Die Männer gaben die Hoffnung nicht auf. Doch erkannten sie, dass mit gewöhnlichen Werkzeugen der Schatz nicht zu heben sei; da müsse noch eine höhere Macht zu Hilfe kommen. Sie fragten darum einen Kapuziner, ob er den Geist beschwören wolle. Der Mönch sagte zu. So machten sie sich denn bald ans Werk. Zwei Stunden vor Mitternacht fanden sich alle drei im Keller ein. Der Pater legte die Stola um und nahm in die eine Hand das Buch und in die andere das Weihwasser. Die beiden Männer griffen zu den Pickeln und hieben los. Doch - was sollte das bedeuten? Der Boden war diesmal hart wie Granit. Funken spritzten auf und die Spitzen der Werkzeuge bogen sich um. Sie hieben und schlugen bis die Pickel zersprangen, aber kein Bröcklein Erde wollte sich vom Boden lösen. Da erklärte der Kapuziner, dieser Geist sei nicht zu beschwören und keinem Sterblichen werde es je gelingen, den Schatz zu heben.

 

Quelle: German Kolly, Sagen aus dem Senseland, Freiburg 1965. Mit freundlicher Genehmigung der Verlag Herder GmbH. Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.Maerchen.ch

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