Die Gründung des Klosters Rheinau

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Es war einmal ein vornehmer Edelmann. Der hatte gar oft lange Zeit, denn er war alt und konnte weder im Turnier, noch bei den Damen oder bei sonstigem ritterlichen Zeitvertreib mehr glänzen. Die Jagd aber war ihm auch zu mühselig geworden und zu gefährlich, denn Hirsch und Wolf machten sich nicht mehr viel aus ihm. Als er aber vor lauter Langeweile umkommen wollte, verfiel er aufs Fischen.

Also machte er sich an den klingenden blauen Rhein, an dem er, just da wo heute die schöne Erkerstadt Schaffhausen liegt, bei einer Klosterfähre eine Fischenz besaß. Da setzte er sich nun alltäglich in einen Nachen, hielt die Fischrute über die hurtig ziehenden Wasser, badete seine daran hängenden Lockwürmer und suchte also Stunde an Stunde nach bestem Vermögen abzutun.

Eines Tages, als er wieder im Schifflein saß und es ihn bedünken wollte, die Minuten haben Krebsscheren an den Füßen und gehen hinter sich, wollte ihn der Schlaf übernehmen. Weil es ihm aber nicht geraten schien, sein Mittagsschläfchen im offenen Rhein abzuhalten, und da er auch nicht, wie ein Hase, mit offenen Augen zu schlafen vermochte, lenkte er, schlafschwer, seinen Nachen in eine wohlgeschützte Bucht, legte sich nieder und nickte alsbald ein.

Er mochte noch nicht lange im Schlummer gelegen sein, so überkam ihn ein eigenartiger Traum. Es war ihm, sein Schifflein fange an, aus der ruhsamen Bucht hinaus zu treiben, es schwimme mitten in den breiten Rhein hinaus. Und dann war es ihm, als ob die hurtigen Wogen sich in Schultern verwandelten, die seinen leichten Fischernachen gar behend davontrügen. Auch schien es ihm, sie wachsen immer höher an und schwingen ihre Schaumkrönlein über sein Gesicht. Und jetzt meinte er, irgend eine Domglocke läuten zu hören. Aber es ward daraus ein Rauschen und ein Brausen wie der Föhn im Bergwald. Und nun wollte es ihn bedünken, sein Nachen habe Flügel bekommen, denn er begann zu fliegen. Und jetzt war ihm, er höre donnern und sehe von allen Seiten Lawinen zu Tal fahren und sein Schifflein hebe auf einmal ein fröhliches Hüpfen an, wie ein vierzehntägiges Zicklein. Nun schieße es gar davon; ein brodelnder Hexenkessel tue sich auf, über den es wie ein Steinbock hinwegspringe, und jetzt packe es ein toller Schneewirbel. Fuhr er denn da nicht mitten durch eine brausende Orgel? Und nun gar unter einem dreifachen zerstäubenden Regenbogen durch? Doch auf einmal war ihm, es werde alles still und sein Nachen gehe ruhig und herrlich über die Wasser, wie das goldene Schühlein eines Königskindes über einen blausamtenen Teppich.

Jetzt stieß er irgendwo an, und der Edelmann erwachte. „Ei“, sagte er, „wie habe ich denn so fest geschlafen und so gespässig geträumt!“

Da sah er sich um und sank totenbleich in den Nachen zurück. Er fand sich nicht mehr in der stillen Bucht, in die er sein Fahrzeug doch selber gelenkt hatte, sondern an einem andern Ufergelände, weit unterhalb des Rheinfalls. Er meinte, vor Entsetzen umzukommen. Also war er im Schlafe aus seiner ruhigen Bucht gerissen und über den donnernden und blitzenden Wasserfall hinunter getrieben worden. Und die wilden Fluten hatten ihn nicht verschlungen, und die versteckten und offenen Riffe hatten ihn nicht zerschmettert, und die tückischen Nixen hatten ihn nicht in ihre Höllentiefen zu reißen vermocht! Da gingen ja die Wogen des Rheinstromes ruhig und kraftbewusst, wie ein mächtiges Kriegsvolk, ihren stolzen ewigen Gang.

Von Entsetzen gepackt, sprang er ans Bord und ließ den Nachen Nachen sein. Voll Dankes gegen den Gott, der ihn und sein schwaches Boot durch all das Grausen fest in der Hand behalten hatte, warf er sich auf die Knie, pries laut des Herrn Güte und gelobte feierlich, an der Stelle, an der er gelandet, ein Kloster zu gründen.

So erstund denn an jenem herrlichen Rheinufer ein großes, schönes Kloster, die Benediktinerabtei Rheinau, deren Bogenfenster sich heute noch im Rheinstrom spiegeln.

 

 

Meinrad Lienert, Zürcher Sagen. Der Jugend erzählt, Zürich 1918.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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