Die drei Brüder

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Ein sehr mächtiger König hatte drei Söhne. Zwei waren sehr hell und listig, der Jüngste schien eher schwer von Begriff zu sein. Der Vater, der sie dank der besten Hauslehrer und seines eigenen Vorbilds sehr gut erzogen hatte, regierte nur über zwei grosse Reiche; deshalb wusste er nicht, wie er sein Erbe aufteilen sollte. Er überlegte und überlegte nächtelang, denn das Alter rückte immer näher. Da beschloss er, seinen Söhnen drei Aufgaben zu stellen und die Reiche jenen beiden zu überlassen, mit denen er am zufriedensten war. Eines schönen Morgens lässt er sie also rufen und sagt kurz: «Ich will, dass jeder von euch unverzüglich in die weite Welt hinausgeht und versucht, anständig sein Brot zu verdienen. Nach einem Jahr kehrt ihr alle drei zu mir zurück, damit ich feststellen kann, welcher von euch am meisten Geld gespart hat.» - Die Söhne reisten ab und kamen unterwegs zu einem Wirtshaus, in dessen Nähe die Wege sich kreuzten. Sie liessen sich dort zu essen und zu trinken geben und versprachen einander, sich nach Ablauf des Jahres da zu treffen, bevor sie vor den Vater treten würden. Dann nahm jeder von ihnen einen andern Weg, um Arbeit und Verdienst zu suchen. Der Älteste kam zu einem Müller, der gerade einen Gehilfen benötigte, und er verdingte sich bei dem für ein Jahr um einen schönen Lohn. Der Mittlere erhielt Arbeit und gutes Entgelt bei einem reichen Bauern, und der Jüngste, der nicht eben schlau war, gelangte auf eine weite Ebene und fand dort ein einsames Häuschen, in welchem nichts anderes war als eine schwarze Katze. Die war jedoch freundlich zu ihm, und er entdeckte mit grösster Verwunderung, dass sie sprechen konnte wie ein Mensch. Nun erzählte er ihr, sobald seine Aufregung und Angst sich ein wenig gelegt hatten, er gehe für die Dauer eines Jahres auf Arbeitssuche. Da machte die Katze ihm das Angebot, ihn als Pfleger ihrer zwei Pferde anzustellen; eines von ihnen hinke und erfordere besonders gute Behandlung. Sie sagte, er habe nichts weiter zu tun, als die beiden Pferde zu füttern, zu striegeln, zu tränken und den Stall zu reinigen, und sie gebe ihm dann nach Ablauf des Jahres, wenn sie mit seinem Dienst zufrieden sei, einen schönen Lohn. Unser unerfahrener Bursche war mit diesen Bedingungen einverstanden, ohne einen Vertrag auszuhandeln noch vorher den Lohn abzumachen, wie es die Brüder bei ihren Meistern getan hatten. Sie dienten alle drei fleissig und gewissenhaft und erhielten gute Zeugnisse zum Abschied. Nur der Jüngste trug seinen Lohn in einem Paket, und er musste versprechen, es erst in Gegenwart des Vaters zu öffnen, und für seine Leistungen hatte er kein Zeugnis erhalten. Im Wirtshaus der drei Wege erzählten sich die Brüder nach Ablauf des Jahres ihre Erfahrungen, und dann traten alle zusammen vor den Vater, der sie mit grosser Freude empfing. Von den zwei älteren Brüdern hatte jeder einen prallvollen Beutel mit gespartem Geld gebracht; der Jüngste, der nicht zu erzählen wagte, bei was für einer Sorte Meisterin er gewesen war, übergab schweigend sein Paket. Und siehe da! Dieses enthielt eine Menge Goldmünzen, deren Wert den Lohn der andern Brüder um das Doppelte übertraf. Der Vater war mit der Lösung dieser ersten Aufgabe sehr zufrieden, und noch mehr freute es ihn, dass seine tüchtigen Söhne alle gesund und munter zurückgekehrt waren. Nach einiger Zeit befahl er ihnen: «Ihr müsst alle drei wieder verreisen; ich will sehen, wer von euch mir nach einem Jahr als Lohn für seine Arbeit das beste Pferd bringen kann!» Und sie gehorchten und verliessen einander wieder beim Wirtshaus der drei Richtungen, wobei jeder die gleiche einschlug wie das letzte Mal.

Bei ihren alten Meistern war jeder willkommen, und es war ihr Ziel, sich durch gewissenhafte Arbeit eines der schönsten Tiere im Stall zu erwerben. Die Hoffnungen der Brüder erfüllten sich nur teilweise. Nach dem zweiten Jahr machten sich die beiden Älteren mit edlen Pferden auf den Heimweg. Der Jüngste jedoch hatte von der Katze nur jenes hinkende Pferd erhalten, das ihm so viel Mühe bereitet hatte. Und dazu hatte sie erst noch die Bedingung gestellt, dass es nicht im gleichen Stall mit den andern gehalten werden dürfe, bevor es dem Vater vorgeführt worden sei. Bei ihrem ersten Wiedersehen in der alten Wirtschaft blickten die Besitzer der edlen Pferde nicht ohne Mitleid auf den hinkenden Gaul ihres jüngeren Bruders. Und auch beim Stallmeister des Vaters löste der Gaul der Katze keine Begeisterung aus. Deshalb wurde er auf Befehl des Stallmeisters, damit die andern Pferde nicht Reissaus nähmen, in einen anderen Stall gestellt. Doch am nächsten Morgen, als die Pferdekenner des Königs die drei Tiere auf den Platz kommen liessen, hinkte das Pferd nicht mehr und war auch in Sachen Schönheit und Klugheit den andern um vieles überlegen. Also hatte der Jüngste wieder den Wettstreit gewonnen, obwohl seine Brüder unter sich behaupteten, seine Teilnahme sei nicht ganz redlich. Der König hatte jedoch eine Riesenfreude an den vorzüglichen Pferden und an seinen Kindern, die er noch mehr liebte und schätzte. Es fiel ihm sehr schwer, dass er sich von diesen nochmals für ein langes Jahr trennen musste. Doch er hatte es so entschieden und wollte von seinem Entschluss nicht abweichen.

Zum dritten Mal verliessen die Brüder das väterliche Haus mit der Aufgabe, im Verlauf eines dritten Jahres durch treue Arbeit eine tugendhafte und schöne Braut heimzubringen. Zum dritten Mal nahmen die Brüder in der alten Wirtschaft bewegt Abschied, und für ein drittes Jahr verdingten sich alle drei bald darauf an den alten Dienstorten. Den zwei gewandten Brüdern gelang es leicht, sich die Liebe der Töchter ihrer Meister zu erwerben. Der weniger helle Jüngste gestand seiner Meisterin den Wunsch des Vaters im Voraus und bekam zur Antwort: «Wenn du genau das tust, was ich dich heisse, so werde ich dir auch diesmal helfen.» Er vertraute wieder auf das Wort der Katze und arbeitete mit allem Eifer während der vereinbarten Zeit. Da sagte die Katze am Jahresende: «Diese Nacht nun werde ich bei dir schlafen; du wirst schreckliche Geräusche hören; Gespenster und Unholde aller Art werden erscheinen; ich werde dich kratzen und in der Stube herumschleifen müssen; doch du darfst kein einziges Wort sagen und nicht den geringsten Widerstand leisten, wenn du willst, dass es dir nicht schlecht geht; morgen dann werden wir beide glücklich sein.»

Unser guter Kerl von einem Diener erlitt geduldig alle Qualen. Er hörte Schrecken einjagende Stimmen, ergreifendes Wehklagen und Furcht erregende Schreie, Kettengerassel, das Dröhnen von Hafen und Kesseln, und ein Lärm, stärker als der Donner im Himmel, erschütterte das ganze abgelegene Gebäude. Böse Geister, absonderliche und entsetzliche Gestalten mit feurigen Augen, sprangen um ihr Bett herum und darüber hinweg; die Katze schien wie von Sinnen und zerkratzte ihn mit ihren fürchterlichen, spitzen Krallen, so dass sein Blut in Strömen floss und sie ihm fast unerträgliche Schmerzen zufügte; sie zerrte ihn sogar im Hemd mit übernatürlicher Kraft aus dem Bett, warf Tisch und Hocker durcheinander und verstärkte durch ihr durchdringendes Miauen den teuflischen Lärm. Doch der treue Diener machte keinen Mucks und wehrte sich nicht im Geringsten, als ob er ein Stück Holz wäre. Bei Tagesanbruch verschwanden die Gespenster, es beruhigte sich das ganze Haus, und unvermittelt endeten seine Leiden. Er schlief dann ein und erwachte erst, als die Sonne zum Fenster herein auf sein blutverschmiertes Gesicht schien. Da stand er auf, zog sich an, betrachtete sich mit ungeheurem Schrecken im Spiegel und dachte, in diesem kläglichen Zustand könne er gar nicht nach Hause gehen. - Die Tür ging nun langsam auf, und siehe da! An Stelle der schwarzen Katze brachte ihm ein liebliches Mädchen das Wasser, um sich zu waschen. Seine Verwunderung war noch viel grösser, als sie ihm mit bewegten Worten für seine Ausdauer dankte, mit der er die Misshandlungen während der vergangenen Nacht ertragen hatte. Und sie erklärte ihm, sie sei dank ihm aus der schweren und langen Verzauberung erlöst worden, durch die sie schwere Tage in Gestalt einer Katze hatte verbringen müssen. «Schau», fügte sie bei und zeigte aus dem Fenster «welch schöne Gegend mir gehört.» Und die leere und unheimliche Gegend, wo er die letzten drei Jahre gelebt hatte, hatte sich tatsächlich in ein gepflegtes Land verwandelt, mit Strassen und Flüssen sowie Wäldern und Gärten, und auf den Hügeln standen Dörfer und Schlösser: das Reich des schönen, durch ihn in diesem Augenblick erlösten Mädchens. Seine Freude war grenzenlos. Sie wusch ihm die Wunden mit Zauberwasser, das von der Verzauberung absichtlich übrig gelassen worden war, und die Wunden verschwanden zusehends. Nun konnte er sich nicht mehr halten, er umarmte und küsste sie, bat sie um ihr Herz und ihre Hand, und sie gab sie ihrem guten Erlöser gern.

Am nächsten Tag machten dann auch sie zwei sich auf den Weg zum Schloss des Vaters. In der einsamen Wirtschaft bei der Wegkreuzung kamen die zwei Brüder mit ihren ebenfalls jungen und schönen Bräuten dazu. Doch die dritte, die zuerst angekommen war, hatte ihr Gesicht mit einem undurchsichtigen Schleier bedeckt, den sie erst in Gegenwart des Vaters abnehmen wollte. Dieser war jetzt im siebten Himmel, als er seine tüchtigen Söhne und die künftigen Schwiegertöchter willkommen hiess. Er musste den Sieg wieder jenem Sohn zugestehen, dem er einen solchen Erfolg am allerwenigsten zugetraut hätte. Nachdem sie sich erfrischt und gegenseitig ihre Abenteuer erzählt hatten, gab ihnen der Fürst zuerst den Sinn der gestellten Aufgaben bekannt und wollte den Jüngsten zwischen den zwei Reichen seines Erbes wählen lassen. Doch der sagte: «Meine beiden Brüder verdienen in allem und überall gerade so viel Ehre wie ich. Wenn meine Leistungen grösser als die ihrigen sind, so weil ich mehr Glück als Verstand hatte. Die zwei Reiche, die Ihr besitzt, sollen bei Eurem Tod daher ihnen zufallen. Ich habe genug am schönen Gut meiner Braut und künftigen Frau.» Da umarmte der Vater mit doppelter Freude seinen edlen Sohn und merkte erst jetzt, dass der dank seinem guten Herz allen überlegen war und er ihn wegen seines Aussehens bis jetzt falsch beurteilt hatte. Bald wurde die Hochzeit der drei Brüder gefeiert, und diese und ihre Nachkommenschaft waren gar glücklich.

(Unterengadin)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.  

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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