Eine Frau als General

Land: Schweiz
Kategorie: Novelle

Ein jeder weiss, dass die jungen Leute gern heiraten. So hatte sich auch ein Bursche verheiratet, und der konnte seine Frau nicht genug rühmen. Aber der Wirt um die Ecke sagte, er wolle ihm sagen, wie er seine Frau kennen lernen könne, denn bis jetzt kenne er die kein bisschen. Sie schlossen eine Wette ab und wetteten um das ganze Vermögen. Der Wirt sagte, er müsse eine Zeitlang auswärts wohnen, und dabei werde er seine Frau kennen lernen.

Der andere schob gegenüber seiner Frau etwas vor und ging weg. Der Wirt versuchte dann auf alle Arten, etwas Unrechtes an der Frau des andern herauszufinden, aber er fand nichts. Der Wirt führte neben der Wirtschaft auch noch einen Laden, und weil er in seinem Haus nicht genug Platz hatte, brachte er auch Ware im Haus seiner Nachbarn unter. Weil die Zeit für die Rückkehr des andern bald um war, musste sich der Wirt einen Trick ausdenken. Er liess eine grosse Truhe mit einer Klappe anfertigen. Dann ging er hinüber zur Frau des andern und sagte, es sei heute eine Kiste mit vielen Wertsachen angekommen, und die möchte er an einem sichern Ort unterbringen, und sie möchte so gut sein und diese Truhe in ihrer Schlafkammer abstellen lassen. Die Frau war einverstanden. Er verkroch sich dann in dieser Truhe und befahl zwei Knechten, ihn auf die Schlafkammer neben das Bett jener Frau zu tragen. Die Knechte machten, was er ihnen aufgetragen hatte.

Als es Zeit war, sich schlafen zu legen, ging die Frau auch in die Schlafkammer hinauf, zog sich aus und stieg ins Bett. Der Wirt, der die Klappe geöffnet hatte, sah, dass sie ein Muttermal zuoberst auf der Brust hatte. Er musste natürlich die ganze Nacht dort in jener Truhe ausharren. Am Morgen kamen dann die beiden Knechte und trugen ihn fort.

Als der Mann zurück war, ging er nach dem Mittagessen in die Wirtschaft hinüber, um zu hören, was der Wirt berichte. Der sagte ihm, dass seine Frau ein Muttermal zuoberst auf der Brust habe. Der andere war natürlich ganz verblüfft, kam nach Hause und sagte der Frau nichts. Er beabsichtigte jedoch fort zu gehen, was er noch am gleichen Tag tat.

Als er abends nicht nach Hause kam, ging die Frau nachfragen, ob niemand ihren Mann gesehen habe. Jemand sagte ihr dann, er sei auf der Strasse, die in die Fremde führt, gesehen worden. Sie rannte schnell zum Wirt, erzählte es ihm und fragte, was tun. Der Wirt antwortete, dass ihr Mann durch eine Wette das ganze Vermögen verloren habe. Die Frau zerbrach sich den Kopf über das Warum und Wieso und beschloss, ihren Mann suchen zu gehen. Sie nahm den gleichen Weg wie ihr Mann.

Der Mann war nach dem Weggang von zu Hause in eine Wirtschaft gekommen, wo Soldaten geworben wurden. Er liess sich auch für vier Jahre anheuern und kam in den Dienst des Königs. Seine Frau nahm, wie wir sagten, denselben Weg. Unterwegs begegnete sie einem jungen Mann. Sie sagte diesem Mann, er solle die Kleider mit ihr tauschen. Sie wolle gern noch etwas zahlen, damit er einen neuen Anzug kaufen könne. Da war der zufrieden und tauschte die Kleider mit der Frau; sie band dann die Haare auf und liess sie sofort abschneiden und kam dann so, in einen Mann verwandelt, auch zu jener Wirtschaft. Dort erfuhr sie, dass ihr Mann für das Militär angeworben worden war. Sie liess sich auch anwerben und kam ebenfalls in den Dienst des Königs.

Da durchlief sie die Rekrutenschule, die Ausbildung zum Korporal und Wachtmeister und alle Ränge bis hinauf zum General und wurde sehr bekannt. Als General machte sie zwei Schlachten mit und bewährte sich sehr in diesem Amt. Aber in all den Jahren, als sie dort war, hatte sie ihren Mann nie gesehen, obwohl sie in Soldatenlisten auch seinen Namen gefunden hatte. Er befand sich nicht in jener Stadt in der Garnison. Da ging sie zum König und wünschte, er solle ihr den und den zum Diener geben, das sei einer aus ihrem Dorf, der könne sehr gut mit den Pferden umgehen. Der König erlaubte es, und der Mann kam. Der General hielt seinen Diener gut und trug ihm nichts nach. Nach zwei Kriegen gab es wieder Frieden, da ging der General wieder zum König und holte die Erlaubnis ein, für einen Monat nach Hause zu gehen und seinen Diener mitzunehmen.

Sie gingen zum Wirt und begannen, mit ihm über alle möglichen Dinge zu sprechen. Der General erzählte, wie häufig er die Gegenseite betrogen habe, denn nur durch viel Betrug habe er es so weit gebracht. Da begann der Wirt auch, seine Stücke zum Besten zu geben. Auch er habe bös betrogen. Einmal zum Beispiel habe einer immer seine Frau gerühmt und gesagt, sie werde ihn nie betrügen. Sie hätten dann eine Wette abgeschlossen und um das ganze Vermögen gewettet. Er habe sich dann in einer Truhe versteckt und die ins Haus des andern tragen lassen; kurz und gut, der Wirt plauderte alles frei und offen aus, wie er mit seinen Nachbarn umgesprungen war, und jetzt wisse er nicht, wo diese zwei hingekommen seien. Da sagte der General: «Das ist jetzt raffiniert bis zum Geht-nicht-mehr, das braucht einen hellen Kopf, um so was auszuhecken.» Er solle ihm den Gefallen tun und es aufschreiben, denn er habe so vieles im Kopf und sei unerhört vergesslich; dieses Spielchen wolle er nicht vergessen. Der Wirt schrieb dann alles auf, setzte seinen Namen darunter und gab das Papier dem General. Der Mann oder der Diener wollte, während der andere das erzählte, ein paar Mal aufspringen, aber der General bedeutete ihm immer wieder, ruhig zu bleiben. Der Wirt brachte sodann die beiden in ihrem eigenen Haus unter, wo sie in ihr Zimmer gingen. Nun dachte der General: «Den verfluchten Hund habe ich erwischt.» Er ging allein zum Wirt hinüber und sagte ihm dann, wie die Sache stehe, und weiter, er sei ein Gauner, und wenn er den Leuten nicht die ganze Habe zurückgebe, so wolle er dafür sorgen, denn er habe die Wette verloren. Der Wirt geriet natürlich in Angst und Schrecken, und was wollte er tun, der arme Teufel, er musste dem Michel - so hiess der Mann, der Diener des Generals - wohl oder übel die Schlüssel geben. In seinem Zimmer zog der General sein altes Frauenkleid über seine Uniform, und sie ging neben dem Zimmer ihres Mannes vorüber, das hatte eine Tür mit Fenster. «Meine Frau, meine Frau!» rief der andere. Der General zog schnell den Rock aus, trat ins Zimmer und sagte: «Was, deine Frau, wenn du keine hast?» Was hätte der Ärmste sagen sollen? Der General machte das gleiche nochmals, dann ging er im Frauenkleid hinein, gab sich zu erkennen und sagte: «Siehst du, was für einer du gewesen bist, wäre ich nicht schlauer als du gewesen, so hätten wir jetzt nichts.» Stellt euch vor, wie glücklich die beiden waren, dass sie sich wieder gefunden hatten.

Der General schrieb dann dem König, wie die Sache stand: er sei eine Frau, er komme nicht mehr, sein Diener sei ihr Mann. Der König wunderte sich nicht wenig und schickte ihnen ein grosses und schönes Geschenk.

(Schams)

 

Quelle: Die drei Hunde, Rätoromanische Märchen aus dem Engadin, Oberhalbstein und Schams. Caspar Decurtins/Ursula Brunold-Bigler/Kuno Widmer, Desertina Verlag, Chur 2020. © Ursula Brunold-Bigler.  

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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