Der singende Pater

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Nach manchem Jahrhundert erst wurde auf den Trümmern der Burg Stadion ein Kloster gebaut. Fromme Kapuziner taten da ihre Arbeit, pflanzten heilsame Kräuter in ihrem Garten, lehrten die Bauern Lesen und Rechnen, und beteten und sangen in der Messe. Einer war unter ihnen, der war ein noch gar junger Pater, der sang schöner als alle andern und hörte auch für sein Leben gern singen. Wenn in warmen Sommernächten die Burschen aus dem Dorf zu singen anfingen, und Lied um Lied zu den Klostermauern hinauf schallte, da drückte es ihm schier das Herz ab, dass er nicht mit ihnen zusammen singen sollte. Denn keinem Pater war es erlaubt, nach dem Achtuhrschlag noch das Kloster zu verlassen, geschweige denn an weltlichen Gesängen mitzusingen.

Eines Abends aber hielt er’s nicht mehr aus, und als er merkte, dass niemand ihn beobachtete, schlich er sich durch den Stall hinaus in das Klostergärtlein und sann nach, wie er wohl von hier aus ins Dorf gelangen könnte. Wie er so im Garten verborgen stand und den Burschen zuhörte, wohl auch selber die Weisen leise mitsang, da kam auf einmal hoch zu Ross ein schwarzer Reiter auf ihn zugeritten, hielt sein Pferd an, sah ihn mit glühenden Augen von oben bis unten an und sprengte, ohne ein Wort zu sagen, wieder ins Dunkel zurück. Darüber erschrak der Pater sehr und eilte so schnell er konnte wieder in seine Zelle zurück. Am andern Morgen fehlte er bei der Frühmesse, und wie ein Bruder ihn suchte, fand er ihn, wie er voller Fieber im Bett lag, wirre Lieder und unverständliche Worte schrie und auch nicht aufhörte, als man ihn mit guten Mitteln zu pflegen anfing. Nun aber kam in diesen Tagen ein anderer Pater ins Kloster, der ob seines Aussehens heimlich der «Kreuzbuckel» genannt wurde, und der verstand sich auf allerlei Künste und wusste mehr als die andern. So verstand er denn auch, was der Kranke in seinen Fiebern sang und sagte, und erschrak darüber gewaltig.

Am Abend, als es dunkel wurde und die Burschen auf der Gasse wieder zu singen anhuben, da schlich sich der Kreuzbuckel in aller Stille zum Klostergarten, vergass aber nicht, sein Kreuz und Gebetbuch mitzunehmen. Als er draussen wartete, siehe, da kam wieder der kohlschwarze Reiter daher gesprengt, hielt vor ihm und schaute ihn mit glühenden Augen an. Der Kreuzbuckel aber erschrak nicht, hielt sein Buch und sein Kreuzlein dem Unheimlichen entgegen und beschwor ihn im Namen der Dreieinigkeit, nie und nimmermehr das Klostergebiet zu betreten. Mit einem grässlichen Schrei verschwand der Reiter in der Nacht und ward nie mehr gesehen. Ob es der Zwingvogt von Stadion war oder nicht, weiss niemand zu sagen.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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