Das Füchslein

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Auf der Glattenalp hinter dem Ortstock gingen einst ihrer zwei aus Uri auf die Jagd und hofften, ein Mungglein oder gar einen Bock zu schiessen, je nachdem. Wie sie nun durch ein enges, stotziges Felsentälchen hinaufklettern und immer obsi schauen, ob sie bald oben wären, da erblickte der jüngere ein Füchslein, das stand steif und still vor dem blauen Himmel und wedelte nicht einmal mit dem Schwanz. Doch schien’s ihm zum Schiessen noch allzuweit weg, und so liess er’s bleiben. Wie sie aber weiterklettern, da steht das Füchslein zu ihrer Verwunderung immer noch da und springt nicht fort. Dem ältern kommt das ein wenig seltsam vor, der jüngere aber sagt: «Das ist noch allzu jung, lassen wir ihm noch ein paar Jährchen!» Als sie aber näher zu ihm kamen, da verwunderten sie sich, denn das Füchslein war mit einer Niele am Stein angebunden, so wie man einen jungen Hund anbindet, damit er nicht wegläuft. Nun aber begann es mit dem Schwanz zu wedeln und bat gar herzbeweglich, sie möchten es befreien und laufen lassen, es solle ihr Schaden nicht sein. Wie es dann davonsprang und verschwand, da lachten sie: «Wenn wir das im Dorf erzählen, wird’s uns kein Mensch glauben! Wie kann man aber auch nur ein Füchslein anbinden, und dazu mitten in dieser Einöde?»

Einige Zeit hernach gingen die beiden Jäger an die Glarner Kilbi und spazierten gassauf und gassab durch den Flecken, denn sie waren zum ersten Mal hier. Als sie am «Goldenen Adler» vorbeikamen, wollte der eine einkehren, dem andern aber schien es zu nobel zu sein, und so gingen sie weiter durch die «Angst und Noth», zur «Ankenwaag» und wie sie in der «Meerenge» anlangten und an alle Häuser hinaufstaunten, da sagt der ältere: «Ich glaube, die haben Geld wie Heu! In so ein Haus kommt unsereiner seiner Lebtag nie. Das ist nur für Herrenleute!»

Der Junge schaut das Tor an und die gemalten Brittli, und wie er nun weiter hinaufstaunt, so streckt eine bildschöne Jungfer den Kopf aus dem Kreuzstock und grüsst und winkt mit der Hand, sie sollten heraufkommen und einen Schluck Kaffee mit ihr trinken, wie’s an der Kilbi Sitte sei.

Sie sind eigentlich erschrocken ob der Einladung, weil sie glaubten, das Fräulein halte sie umsonst für gute Bekannte, und wenig hätte gefehlt, so wären sie durch die erstbeste Gasse verschwunden. Denn sie wollten das Fräulein nicht zum Narren halten.

Indem aber ist die Jungfer schon unter die Haustür getreten und gibt jedem die Hand und heisst sie willkommen. In der Visitenstube wird ihnen alle Güte aufgetischt, Kaffee in gemalten Tässlein, Pastete, sauer und süss, Öpfelbeggeli, Chriesimues und Hung und was alles man an einer rechten Glarner Kilbi aufzutragen gewohnt ist. Dazu plaudern sie dies und jenes, aber allermeist lassen die beiden dem Fräulein das Wort. Beim letzten Schluck putzt der ältere den Schnauz und hustet und fragt: «Also schönen Dank und Vergeltsgott viel tausendmal, aber jetzt wüssten wir beide doch noch gern, wieso uns das Fräulein eingeladen hat? Wir sind heute erstmals im Flecken und haben Euch im ganzen Leben noch nie gesehen.»

«Aber ich hab Euch gesehen und will Euch aus dem Gwunder helfen!» lacht die Jungfer und wird ein wenig rot. «Seid ihr nicht da und da am Ortstock einem angebundenen Füchslein begegnet und habt es freigelassen?»

«Freilich sind wir das, auch wenn’s uns kein Mensch glaubte!» Da lächelte die schöne Jungfer: «So muss ich Euch denn mein Geheimnis verraten. Meine Mutter war eine Hexe, und bevor sie verbrannt worden ist, hat sie mich in der Galle in ein Füchslein verzaubert und für alle Zeiten in die Einöde verbannt. Wenn Ihr beide mich nicht losgelassen hättet, müsst’ ich für immer und ewig dort bleiben! Jetzt wisst Ihr, warum ich Euch eingeladen habe!»

Bei dieser Eröffnung machten die beiden grosse Augen, und als die Jungfer gar noch ein Stück von der Niele brachte, da fing’s ihnen fast an zu grausen, und sie wollten sich ohne viel Worte verziehen. Das Fräulein aber lachte: «Ich bin keine Hexe, ich bin von Fleisch und Blut und bin ein ehrliches Christenmeitli!» und legte dem Jungen, der war ein strammer, rotbackiger Bursch von zwanzig Jahren, noch extra ein Stück Pastete auf den Teller, von der süssen Seite.

Drei Wochen später sind die beiden in den Ring gegangen, und übers Jahr stand der Alte als Götti für den ersten Buben am Taufstein.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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