Das Greiss auf der Fisetenalp

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Die Fisetenalp gehört zwar zum Urnerischen, aber der Bach, der von dort oben herunterfliesst und Schräjenbach heisst, der nimmt hinter Linthal einen mächtigen Sprung und will zur Linth.

Auf der Alp hat vor Zeiten das Greiss gewütet. Die fettesten Milchkühe und die schönsten Rindlein hat es mit einer Krankheit verhext, gegen die kein Viehdoktor und kein frommer Kapuziner helfen konnten. Niemand hat das Greiss je gesehen, denn es kam nur in mondlosen Nächten vom Urnerboden her über die Alpen getappt, und jedwedes Tier, dem es ums Maul fuhr, starb in wenigen Tagen eines jämmerlichen Todes. Die Sennen schwiegen und sagten keinem Menschen etwas vom Greiss, denn sie fürchteten, wenn die Sache ans Licht komme, so würde das Ungetüm noch viel schlimmer hausen.

Da kam gegen den Herbst hin, nachdem die Sennen gar manches brave Häuptlein verlocht hatten, ein fahrender Schüler, man nennt sie auch etwa Venediger, auf die Alp; dem klagten sie ihr Leid und baten ihn, um Gottes willen etwas gegen das Greiss zu tun, denn sie wüssten dem Leben kein End mehr. Das sei nämlich so:

Vor Jahren habe ein armes Hüterbüblein von Welschen oder von Zigeunern ein schneeweisses Lämmlein geschenkt bekommen, das sei ihm liebgeworden wie ein Brüderchen, und all seine Sorge habe dem Tierchen gegolten. Einmal sei ihm in seiner Einfalt in den Sinn gekommen, das Tierchen sollte doch auch einen richtigen Taufnamen haben, mit dem er es rufen könnte. Also lief er in einer dunklen Nacht über den Klausen bis zur Attinghauserkirche. Dort brach er den Taufstein auf und schöpfte ein Beckelein geweihten Wassers heraus. In der Nacht darauf trug er das Wasser den langen Weg zurück und taufte das Lämmlein, als wenn er ein Pfarrer und das Tier ein Mensch wäre. Kaum aber war das geschehen, so fing das Schäflein an zu wachsen und wuchs und wurde immer grösser, und wurde aus ihm ein ungeheuerliches Meraggel, das den Hüterbuben in Fetzen riss und auffrass. Dann verzog es sich in die Wälder und versteckte sich in Schluchten und Tobeln und kam nur in der Nacht auf die Alpen und zuletzt auch ins Glarnerland herüber.

Der Venediger hörte dem Handel aufmerksam zu. «Töten», sagte er, «kann ich das Greiss nicht; dafür bin ich noch zu jung. Aber bannen kann ich’s, und das will ich Euch zuliebe morgen versuchen.»

Am Tag darauf strich er um die Hütte herum und suchte sich sorgfältig drei Trämmel aus, zeichnete jeden mit einem Kreuzlein an und befahl den Sennen, mit dem Holz um Mitternacht ein Feuer anzumachen. Sie sollten sich drumherum setzen und plaudern, einerlei was. Wenn das Feuer hoch und heiss brenne, so komme einer zu ihnen (er wisse selber nicht, was für einer und woher er komme), der setze sich zu ihnen und wolle seine Pfeife anzünden. Wenn’s aber soweit sei, so sollen sie ihn, und wenn’s der nächste Eigene wär, zu dritt packen und mitten in die Flammen werfen und ohne Erbarmen zu Asche verbrennen lassen. So hätten sie endlich Ruhe vor dem Untier.

Die Sennen waren zufrieden, und da der Fahrende für den guten Rat keinen Blutzger heischte, so stellten sie ihm auf, was eben in der Hütte zu finden war, und er ass und dankte und ging seines Wegs.

Um Mitternacht, als das Feuer nun hoch und heiss brannte und die Drei daran sassen und warteten, da hörten sie auf einmal einen vom Grat herunter jodeln und jauchzen. Sie kannten den Jodler an der Stimme und dachten sich: «Was will denn bloss der Uolrichlifranz so mitten in der Nacht? Will er gar sein weisses Rösslein holen?» Denn er hatte es im Vorsommer bei ihnen zum Sömmern eingestellt.

Indes kommt der Franz zum Feuer, nickt guten Abend, stochert ein Weilchen mit seinem Stecken im Feuer herum und zündet sich die Pfeife an. Die drei Sennen schauen ihm schweigend zu. Wie die Pfeife zu ziehen anfängt, fragt er nach seinem Rösslein, und er möchte es gleich mitnehmen. Die drei schauen sich an, und keiner findet den Mut, den braven Uolrichlifranz ins Feuer zu werfen, denn sie denken, es könnte leicht ein Versehen sein, und sie wollten keine Todsünde begehen. Der Franz geht also zum Gaden und sitzt in einem Schwung aufs Ross, und wie er zehn Schritt von der Hütte weg ist, nimmt er einen gewaltigen Satz und ist schon zuoberst auf dem grossen Stein am Wald und wächst wie ein Unflat und wird ein Ungeheuer, das lacht und lacht zu den Sennen hinunter. «Ihr hättet schon den Rechten erwischt! Warum habt Ihr ihn nicht verbrannt?»

Auf einmal verschwand er in Rauch und Feuer, und es stank Schwefel und Teufelsdreck, und da wussten die Sennen, wer bei ihnen am Feuer gesessen hatte. Am Morgen früh stieg der Jüngste aus lauter Gwunder mit der Gadenleiter auf den Stein. Was war zu sehen? Nichts als ein brandschwarzes Loch, das aussah, als hätte einer seinen Pferdefuss in den Felsen gedruckt. Wer heute auf Fiseten kommt und eine Leiter bei sich trägt, der kann’s selber nachsehen.

 

Quelle: K. Freuler, H. Thürer, Glarner Sagen, Glarus 1953
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch

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