Der blaue Vogel

Land: Schweiz
Region: Ajoie
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal ein armer Mann, der Käfige machte. Das war ein Handwerk, welches damals einen Mann an den Hungertod brachte. Er kam eines Tages vom Jahrmarkt von Porrentruy zurück, ohne etwas verkauft zu haben. Er ruhte ein wenig in der Möchnire-Höhle aus. Man sagt, dass dort die Hexen ihren Sabbat abhielten und Krapfen buken. Da weinte er und beklagte sein Schicksal, als plötzlich ein alter Mann kam und zu ihm sagte: »Setz einen Vogel in deinen Käfig! Den kannst du leicht verkaufen.« - »Ich habe keinen, und Vögel fangen kann ich nicht.«

»Warte ein wenig.« Der alte Mann pfiff, und ein schöner blauer Vogel flog heran. Er fing ihn, dann sperrte er ihn in den Käfig des armen Kerls und sagte: »Wenn du irgendetwas brauchst, dann musst du nur sagen: ›Blauer Vogel, tu deinen Dienst!‹ Und wenn er dir alles gebracht hat, was du willst, dann vergiss nie zu sagen: ›Heiliger Espontin, ich danke dir.‹«

Weil er hungrig war, sagte der arme Mann gleich darauf: »Blauer Vogel, tu deinen Dienst!« Sogleich stand ein gedeckter Tisch vor ihm. Nach der Suppe sagte er: »Danke, heiliger Espontin«, nach dem Braten: »Danke schön, heiliger Espontin«, und beim Nachtisch: »Oh, tausend Dank, heiliger Espontin!« Danach machte sich unser Mann auf den Weg zum Markt von Delémont. Als er nach Bourrignon kam, traf er das ganze Dorf in einem heillosen Durcheinander. Die Leute liefen in ihren Sonntagskleidern hin und her. Es herrschte eine grosse Aufregung. Er fragte, ob etwa Kirchweihfest sei. Ob er denn nicht wisse, dass man das Fest der Maijungfrau feiere, antwortete ihm eine Frau. Das schönste Mädchen werde weissgekleidet in einer Prozession durch das Dorf getragen. Nun fände man aber kein passendes Kleid für sie, und deshalb liefen die Frauen so geschäftig herum.

Unser Mann dachte bei sich: ›Der blaue Vogel könnte vielleicht behilflich sein‹, und er sagte sofort: »Blauer Vogel, tu deinen Dienst!«

Und die Maijungfrau war schöner als eine Königin. Noch nie hatte man ein Mädchen in so prächtigen Kleidern gesehen. Die Leute dankten ihm alle, und er ging davon. Aber er verirrte sich. Anstatt in Delémont langte er in Ferrette an. Der junge Graf von Ferrette stand kurz vor der Hochzeit mit einer sehr anmutigen jungen Frau. Aber die junge Frau fand nichts Rechtes zum Anziehen. Hatte sie ein Mieder, dann fand sie kein Kleid. Hatte sie Strümpfe gefunden, dann fehlte das dazu passende Jäckchen. Das war eine Aufregung im Schloss!

Unser Mann dachte bei sich: ›Hilf ihnen! Blauer Vogel, tu deinen Dienst‹

Und alles ging in Ordnung. Nur war die Braut viel schöner als der junge Graf, der sich wie ein Drecklappen ausnahm neben ihr. Der blaue Vogel musste seinen Dienst auch für den Grafen tun, der mit einem Schlag in Samt und Spitzen ging. Sie luden unseren Vogelmann zur Hochzeit ein, um ihm für seine guten Dienste Dank zu erweisen. Nach dem Mahl wollte er fortgehen, aber der Graf hielt ihn zurück, um ihm seinen Vogel abzukaufen. Er aber wollte ihn nicht hergeben. Der Graf bot ihm all sein Geld und Gut dafür. Der Mann überlegte und sagte dann: »Ich will mir's überlegen. Ich werde zwischen Tag und Nacht wieder herkommen und Euch Bescheid sagen.«

Unser Vogelmann war schlau. Er ging in den Wald.

»Blauer Vogel, tu deinen Dienst!« Und sofort war ein zweiter blauer Vogel da. Er steckte den Zaubervogel in sein Wams und setzte den neuen in den Käfig. So ging er zum Grafen und sagte, dass er einverstanden wäre, aber nur, wenn er ihm seine Frau gäbe. Der Graf wollte zuerst nicht, aber dann dachte er bei sich: ›Wenn du den blauen Vogel einmal hast, dann wirst du sie wiederholen.‹

Er konnte aber noch so oft sagen: »Blauer Vogel, tu deinen Dienst!«

Die Frau ging mit dem Vogelfänger fort, ohne sich umzudrehen. Der Graf starb noch in derselben Nacht aus Gram.

Die beiden kamen wieder zurück, um das Schloss zu bewohnen. Und sie lebten reich und glücklich.

Das also war die Geschichte vom  blauen Vogel. Sie heisst auch die Geschichte vom Mann, der seine Frau für einen Vogel verkauft hatte.

 

Aus: R. Wildhaber, L. Uffer, Schweizer Märchen, Düsseldorf 1971, abgedruckt bei Rossat (1914), erzählt von Bertha Pheulpin in Miécourt.

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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