Das Schlachtfest der Zwerge

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Ein Plaffeier Bäuerlein hatte auf der Salzmatt ein Rind zur Sömmerung eingestellt. Am Schafscheid wollte er das Tier wieder abholen. Er verspätete sich aber auf dem Heimweg, so dass er sich um eine Unterkunft umschauen musste, denn die Nacht war finster, der Weg schlecht und das Rindlein wollte vor Müdigkeit auch nicht mehr rasch vorantraben. In der «Eltschingera», die zur Zeit leer stand, fand der Bauer Unterschlupf. Jaggi Offner, wie der Mann hiess, führte also sein Rind in den leeren Stall und band es mit der Halfter fest an die Krippe, dann bereitete er sich selber droben im Heuboden ein bequemes Lager. Zufrieden streckte er seine müden Glieder im duftigen Bergheu aus und verfiel bald in einen tiefen Schlaf bis Mitternacht. Da weckten ihn Stimmengewirr und -geräusch aus dem Schlummer. Von der Küche her schimmerte ein Lichtstrahl herauf. Offner rieb sich die schlaftrunkenen Augen wach und wollte nachsehen, wer denn in die Küche zu so später Stunde eingedrungen sei. Wahrscheinlich mussten es Beerensammler oder Holzhacker sein, die hier willkommene Unterkunft suchten. Aber der gute Jaggi sollte sich getäuscht haben. Etwa ein Dutzend Bergmännlein hantierten geschäftig im Raume. Über dem Herd hing ein grosser Kupferkessel. Darunter prasselte ein lustiges Feuer. Zwei Kobolde traten bald darauf mit Offners Rindlein herein und schlachteten es kunstgerecht. Dann legten sie das Fleisch ins siedheisse Wasser und kochten. Jaggi musste hilflos zusehen, wie seinem Rind der Garaus gemacht wurde.

«Oh, du armes Rindli», klagte er, «so traurig musst du enden.» Bitter verwünschte er seinen unseligen Einfall, in diese Sennhütte eingekehrt zu sein. Dicke Tränen rollten ihm über die stoppligen Backen. Doch die Reue kam jetzt zu spät. Als das Fleisch weichgekocht war, begannen die Bergmännlein nach Herzenslust zu essen und zu schmatzen, als ob sie sieben Tage lang nichts mehr gegessen hätten. Nichts liessen sie übrig als ein kleines Ripplein. Damit stieg ein Kobold flink die Treppe hinauf und reichte es dem verdutzten Zuschauer. Offner nahm den Bissen ohne langes Besinnen. «Ist mein Tier verloren, will ich doch das bisschen Fleisch von ihm nicht verschmähen», dachte er und ass das Stücklein. Grad war er damit fertig, da erlosch das Licht.

Zwerglein, Feuer und Kessel waren wie weggeblasen. Friedliche Stille waltete über Küche und Stall als wäre alles nur ein Traum gewesen.

Von Schlaf war bei Offner nach dem Erlebten keine Rede mehr. Lange grübelte er dem Geschehenen nach. Sobald es tagte, wollte er die verhexte Hütte verlassen. Bevor er beim Morgengrauen wegzog, suchte er noch die Halfter im Stall, womit er sein Hornvieh angebunden hatte. Als er die Stalltüre aufriss, traute er seinen Augen nicht mehr. Sein Rind stand lebendig und munter am selben Platz, an dem es sein Herr abends zuvor angebunden hatte. Mit einem kräftigen «Muu» begrüsste es seinen Pfleger und glotzte ihm freudig entgegen. Ja, es war keine Sinnestäuschung. Jaggi tat einen Freudenschrei und umhalste seinen Rotscheck wie eine Mutter ihr wiedergefundenes Kind. Nichts fehlte dem Tier als ein kleines Stücklein Fleisch am rechten Hinterbein. Es war jenes Stück, das der Bauer verzehrt hatte. Er bedauerte jetzt seine Essgier, war aber doch zufrieden, dass ausser diesem Schönheitsfehler das Tier wohlauf und gesund war. Frohgemut zog er mit seinem vierbeinigen Gefährten bergab. Die Plaffeier schüttelten erst ungläubig ihre Köpfe, als ihnen Jaggi sein nächtliches Abenteuer erzählte. Das fehlende Stück Fleisch am Hinterbein des Rindes belehrte sie dagegen eines Besseren. Nicht mit Unrecht geriet das treue Tier in den nächsten Tagen zu einer gewissen Berühmtheit.

 

Quelle: Pater Nikolaus Bongard, Sensler Sagen, Freiburg 1992.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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